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Texte

David Bohm: Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, Klett-Cotta, 2002 (Originalausgabe: 1969, On Dialogue)

zusammengefasst von Samuel Widmer

David Bohm gilt auf seinem Gebiet der theoretischen Physik als einer der grossen Denker des 20. Jahrhunderts. Er hat mehrere Bücher, vor allem auch philosophischer Natur, verfasst, unter denen vor allem Die implizierte Ordnung: Grundlagen eines dynamischen Holismus herausragt. Er war einer der wichtigen Schüler Krishnamurtis

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Die beiden führten viele interessante Dialoge, die audiovisuell zugänglich sind. Eines seiner Hauptanliegen war der Dialog. Lee Nichol, der einer der Dialoggruppen David Bohms angehörte, gab nach seinem Tode dieses zusammenfassende Büchlein über David Bohms Ansichten zum Dialog heraus. Frapierend ist die Ähnlichkeit der Gedanken David Bohms mit denen zur Gemeinschaftsbildung von Scott Peck. David Bohm nähert sich zwar von einer ganz anderen Seite, einer philosophischen und naturwissenschaftlichen, demselben Anliegen und benutzt auch eine viel komplexere Sprache. Er kommt aber zu den gleichen Ergebnissen, und sein anderer Ansatz – vor allem die Erforschung der Hirntätigkeit und des Denkens – dürfte befruchtend sein. Den Dialog zu praktizieren ist zwar so alt wie die Zivilisation selbst, David Bohm versuchte ihm aber seine Tiefe zurückzugeben, die ihm im Zeitalter der Kommunikation und Diskussion abhanden gekommen ist. Für Bohm ist der Dialog ein vielschichtiger Prozess, der über die typische Vorstellung von Gespräch und Gedankenaustausch weit hinausgeht. Darin wird eine ungewöhnliche Bandbreite menschlicher Erfahrung erkundet: Unsere tief sitzenden Wertvorstellungen, Wesen und Intensität der Emotionen, die Muster unserer Denkprozesse, die Funktion des Gedächtnisses, die Bedeutung tradierter kultureller Mythen und die Art und Weise, in der unsere Neurophysiologie die Augenblickserfahrung strukturiert. Am Wichtigsten aber ist vielleicht die Auslotung der Art und Weise, in der das Denken – von Bohm als inhärent begrenztes Medium gesehen, nicht als objektives Abbild der Wirklichkeit – auf der kollektiven Ebene hervorgebracht und unterhalten wird. Eine solche Untersuchung rüttelt notwendigerweise an tief sitzenden Annahmen in Bezug auf Kultur, Bedeutung und Identität. In seinem tiefsten Sinn ist der Dialog also eine Einladung, die Lebensfähigkeit traditioneller Definitionen dessen zu überprüfen, was es bedeutet ein Mensch zu sein, und kollektiv das Potential für eine weitere menschliche Entwicklung zu erforschen. Bohm liegt das Kommunikationsproblem, von dem unser ganzes heutiges Leben betroffen ist, sehr am Herzen. Immer wieder hat er auf die Tatsache hingewiesen, dass trotz des Anspruchs der „Wahrheitssuche” das Streben auch der Naturwissenschaft oft von persönlichem Ehrgeiz, starrer Verteidigung, von Theorien und dem Gewicht der Tradition ungünstig beeinflusst wird. Auch das generelle Los der Menschheit sah er in einem vergleichbaren Netz einander widersprechender Absichten und Handlungen feststecken. Die allgemeine Vielfalt sozialer und persönlicher Fragmentierung sah er als eine direkte Folge dieser Problematik. Das Grundproblem scheint zu sein, dass verschiedene Gruppen und Menschen nicht mehr in der Lage sind, einander zuzuhören.    Im Dialog versuchen Gesprächsteilnehmer deshalb nicht, einander Ideen oder Informationen mitzuteilen, die ihnen bereits bekannt sind, vielmehr versuchen sie, gemeinsam etwas Neues zu schaffen, indem sie einander uneingeschränkt und vorurteilsfrei zuhören, ohne zu versuchen sich gegenseitig zu beeinflussen. Das Interesse eines jeden gilt in erster Linie der Wahrheit und Kohärenz, so dass er bereit ist, alte Vorstellungen und Absichten fallen zu lassen und, wenn nötig, zu etwas anderem fortzuschreiten. Wenn wir in Harmonie mit uns selbst und mit der Natur leben wollen, meint Bohm, müssten wir fähig sein, frei in einer kreativen Bewegung zu kommunizieren, in der niemand auf Dauer an seinen eigenen Vorstellungen festhält oder sie sonstwie verteidigt. Natürlich sieht auch er, dass ein solcher Anspruch immer wieder an der fehlenden Bereitschaft scheitert, und dass diese letztlich durch nichts als durch Einsicht zu bewirken ist. Oberflächlich betrachtet ist der Dialog eine relativ unkomplizierte Angelegenheit. Eine Gruppe, bestehend aus 15-40 Teilnehmern, versammelt sich auf freiwilliger Basis und setzt sich im Kreis zusammen. Nach anfänglichen Erläuterungen über das Wesen des Dialogprozesses steht die Gruppe vor der Frage, wie sie weiter vorgehen soll. Da sie ohne vorher festgelegte Tagesordnung zusammenkommt, braucht es meist einige Zeit, bis eine Einigung auf ein annehmbares Thema erfolgt ist, was bekanntlich Frustration hervorrufen kann. In diesem frühen Stadium betrachtet Bohm einen Dialogbegleiter als sinnvoll. Aber auch er findet, genauso wie Scott Peck, dass auf diese helfende Rolle sobald wie möglich verzichtet werden sollte, damit die Gruppe ihrem eigenen Kurs folgen kann. Bohm weist auf die etymologische Ableitung des Wortes Dialog hin. Dialogos, das griechische Wort, setzt sich aus logos, das Wort und dia, durch (nicht zwei!), zusammen. Ein Dialog kann von einer beliebigen Anzahl von Leuten geführt werden, nicht nur von zweien. Sogar ein Einzelner kann einen gewissen inneren Dialog mit sich selbst pflegen. Wesentlich ist, dass der dialogische Geist vorhanden ist. Bohm redet von einem freien Sinnfluss, der unter uns, durch uns hindurch und zwischen uns fliesst. Ein Sinnstrom innerhalb der ganzen Gruppe, aus dem allenfalls ein neues Verständnis entspringen kann. Diese Einsicht ist etwas Neues, was zu Beginn nicht vorhanden war. Sie ist etwas Kreatives. Dieser untereinander geteilte Sinn ist der „Leim“ oder „Zement“, der Menschen und Gesellschaft zusammenhält. Bohm vergleicht den Dialog mit der Diskussion. Das Wort Diskussion bedeutet zerschlagen, zerteilen, zerlegen. Betont wird in dieser Art von Gespräch die kritische Analyse, bei der es viele Ansichten geben kann und bei der jeder eine andere Meinung vorträgt, analysiert und zergliedert. Die Möglichkeiten davon sind begrenzt, eine Diskussion wird uns über die Feststellung unserer jeweiligen Standpunkte hinaus nicht viel weiterbringen. Der Kernpunkt einer Diskussion ist das Gewinnen des Spiels. Im Gegensatz dazu versucht bei einem Dialog niemand zu gewinnen. Wenn einer gewinnt, gewinnen alle. Es steckt ein anderer Geist dahinter. In einem Dialog wird nicht versucht, Punkte zu machen oder den eigenen Standpunkt durchzusetzen. Vielmehr gewinnen alle, wenn sich herausstellt, dass irgendeiner der Teilnehmer einer Fehler gemacht hat. Es gibt nur Gewinner, während das andere Spiel Gewinnen-Verlieren heisst – wenn ich gewinne, verlierst du. Aber ein Dialog hat eher etwas von gemeinschaftlichem Teilhaben, bei dem wir nicht gegeneinander spielen, sondern miteinander. In einem Dialog gewinnen alle. Ein grosser Teil von dem, was wir Diskussion nennen, wird nicht in vollem Ernst geführt. Es gibt alle möglichen Dinge, die als nicht verhandelbar angesehen werden und die nicht berührt werden dürfen. Die Leute wollen nicht einmal über diese Dinge reden. Das ist ein Teil des Problems. Es fällt den Menschen schwer zu kommunizieren, weil jeder Mensch andere Annahmen und Meinungen hat. Es handelt sich um grundlegende Annahmen, nicht einfach um oberflächliche Ansichten. Diese Annahmen werden verteidigt, wenn sie in Frage gestellt werden. Meist können die Leute der Versuchung nicht widerstehen, ihre Annahmen zu verteidigen, und sie neigen dazu, dies hoch emotional zu tun. In einer Dialoggruppe kristallisiert sich die Reibung zwischen gegensätzlichen Wertvorstellungen unweigerlich heraus und steht damit im Zentrum des Dialogs. Dadurch wird es den Teilnehmern möglich, sich die in der Gruppe wirksamen Annahmen bewusst zu machen, die eigenen eingeschlossen. Das Erkennen der Macht dieser Annahmen und ihre virusähnliche Natur können zu einem neuen Verständnis der fragmentarischen und selbstzerstörerischen Natur vieler unserer Denkprozesse führen. Durch dieses Verständnis kann es zu einem Nachlassen der gegenseitigen Abwehrhaltungen kommen und ein Gefühl natürlicher Wärme und Gemeinschaft kann die Gruppe erfüllen. Wir können diese Annahmen auch Meinungen nennen. Eine Meinung ist eine Annahme. Die meisten Meinungen sind nicht rational, sondern werden mit einer starken Gefühlsreaktion verteidigt. Mit anderen Worten, die Menschen identifizieren sich mit ihren Meinungen. Der Dialog muss all den Zwängen auf den Grund gehen, die hinter unseren Annahmen stehen. Der Dialog befasst sich mit den Denkprozessen hinter den Annahmen, nicht nur mit den Annahmen selbst. Das kreative Potential des Dialogs, seine Fähigkeit, die tieferen Bewusstseinsstrukturen zu enthüllen, hängt von einem anhaltenden, ernsthaften Einsatz der Teilnehmer ab. Im Dialog ist ein erhebliches Mass an Aufmerksamkeit erforderlich, um die versteckten Implikationen der eigenen Annahmen und Reaktionen im Auge zu behalten und gleichzeitig ähnliche Muster in der Gesamtgruppe zu spüren. Eine solche Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit setzt kein angesammeltes Wissen oder eine bestimmte Technik voraus und verfolgt auch nicht das Ziel zu „berichtigen“. Es handelt sich bei dieser Aufmerksamkeit vom Wesen her um eine entspannte, nicht urteilende Neugier, deren Hauptaktivität es ist, alles so unbefangen und klar wie möglich wahrzunehmen. Die verschiedenen Meinungen, die wir haben, sind ein Ergebnis der Gedanken, die wir gedacht haben, der Erfahrungen, die wir gemacht haben, und von allem, was wir je gehört haben von anderen. Später identifizieren wir uns mit diesen Meinungen und beginnen sie zu verteidigen. All das macht wenig Sinn. Denn wenn die Meinung richtig ist, braucht sie keine Verteidigung, und wenn sie falsch ist, warum sollten wir sie verteidigen. Meinungen werden aber oft als „Wahrheiten“ erlebt. Im Grunde ist das Ziel des Dialogs, dem Denkvorgang auf den Grund zu gehen und den kollektiven Ablauf der Denkprozesse zu ändern. Dem Denken als Vorgang haben wir eigentlich nie sonderlich viel Aufmerksamkeit gewidmet. Wir denken, aber unsere Aufmerksamkeit gilt lediglich dem Gedankeninhalt, nicht dem Vorgang an sich. Das ist so, wie wenn wir eine Maschine hätten, mit der wir laufend Dinge produzieren, um deren Funktionieren wir uns aber nie kümmern würden. Dabei würde allerlei schief gehen. Im Bereich des Denkens kann es zum Beispiel zur Fragmentierung kommen. Das Denken splittert alles auf und verliert die Einheit von allem aus den Augen. Das Denken bewirkt etwas, ist sich aber darüber gar nicht bewusst, dass es die Quelle, die es verursacht, ist. Immer wenn wir ein Problem haben, sind wir der Meinung, wir müssten darüber nachdenken. Oft ist aber gerade das Denken das Problem. Also müssen wir das Denken betrachten. Im Dialog kommen Menschen zusammen, die in der Regel einen anderen individuellen Hintergrund haben und deshalb viele unterschiedliche Grundannahmen und Meinungen besitzen. Solange wir diese Meinungen verteidigen, oft auch unbewusst, kann kein echter Dialog zustande kommen. Wir versuchen dann, die anderen von unseren Meinungen zu überzeugen und finden das die natürlichste Sache der Welt. Der Stärkste wird in einem solchen Wettstreit gewinnen. Der Stärkste ist aber nicht notwendigerweise der mit der richtigen Meinung. Und vielleicht hat auch überhaupt keiner Recht. Sogar in der Wissenschaft kennt man oft dieses Problem, dass verschiedene Wissenschaftler an ihrer Sichtweise der Wahrheit festhalten und sich nicht einigen können. Die Wissenschaft sollte angeblich der Wahrheit und den Fakten verpflichtet sein. Aber das eigene Interesse und die Annahmen gewinnen die Oberhand. Annahmen und Meinungen stecken wie Computerprogramme in den Köpfen der Menschen fest. Diese Programme bringen ihre eigenen Absichten hervor. Eine Gruppe von 20 - 40 Teilnehmern ist deshalb so etwas wie ein Mikrokosmos der Gesamtgesellschaft. Kommen nur fünf oder sechs Leute zusammen, können sie sich normalerweise einander so anpassen, dass alles, was die anderen aufregen oder beunruhigen könnte, nicht zur Sprache kommt. Scott Peck redet da von Pseudogemeinschaft. Bei vielen Teilnehmern hält die Höflichkeit normalerweise aber nicht lange vor. Scott Peck redet dann von der Chaosphase. Mit 20-40 Teilnehmern haben wir eine Mikrokultur der Gesellschaft, eine Art Mikrokosmos der Gesamtkultur. Darin beginnt die Frage der Kultur, des kollektiv untereinander geteilten Sinns eine Rolle zu spielen. Diese kollektiv geteilte Bedeutung hat grosse Macht. Das kollektive Denken ist mächtiger als das individuelle Denken. Das individuelle Denken ist ohnehin zum grössten Teil Ergebnis des kollektiven Denkens und der Interaktion mit anderen Menschen. Die Sprache ist rein kollektiv und die meisten in ihr enthaltenen Gedanken sind es ebenfalls. Bohm redet von kohärentem und inkohärentem Denken. Er vergleicht das Denken mit einem Lichtstrahl von gewöhnlichem Licht, das nicht kohärent, das heisst zerstreuend ist, oder einem Laserstrahl, der gerichtet, also kohärent ist. Das normale Denken in der Gesellschaft erlebt er als inkohärent, es strebt in alle möglichen Richtungen und die Gedanken widersprechen sich und heben sich gegenseitig auf. Wenn Menschen gemeinsam auf kohärente Weise denken könnten, hätten ihre Gedanken eine ungeheuerliche Macht. Das ist seine These. Im dialogischen Prozess kommt es innerhalb einer Gruppe zu einer solchen kohärenten Gedankenbewegung, einer kohärenten Kommunikationsbewegung. Das Denken wird dabei nicht nur auf der bewussten Ebene kohärent, sondern auch auf einer stillschweigenden Ebene, der Ebene, für die wir nur ein vages Gefühl haben. Eine Kohärenz auf dieser Ebene ist noch wichtiger. In der Tiefe ist das Denken immer ein subtiler, stillschweigender Prozess. Der stillschweigende Prozess ist gemeinschaftlich. Er wird miteinander geteilt. Bohm ist der Meinung, dass wir in fünftausend Jahren Zivilisation den Kontakt zu diesem tieferen, gemeinsamen, stillschweigenden Prozess verloren haben und uns jetzt wieder darauf besinnen müssen. Wir müssen wieder ein gemeinsames Bewusstsein entwickeln, fähig sein gemeinsam zu denken und auf  intelligente Weise zu tun, was getan werden muss. In den Gesprächen mit Krishnamurti konnte Bohm vor allem die Einsicht gewinnen, dass die Probleme des Denkens im Wesentlichen kollektiver und nicht individueller Natur sind. Des Weiteren befassten sich die beiden vor allem mit dem Paradox des Beobachters und des Beobachteten.    Als wichtig für das Führen des Dialoges betrachtet Bohm das Sitzen im Kreis, so dass niemand bevorzugt und eine direkte Kommunikation möglich wird. Es sollte weder eine Gruppenleitung, noch eine feste Tagesordnung geben. In der Regel löst das zuerst Ängste und Frustrationen aus, die aber bald (2 Stunden) überwunden sein werden. Am Anfang kann ein Dialogbegleiter nützlich sein, der die Gruppe eine Zeitlang im Auge behält und von Zeit zu Zeit erklärt, was gerade geschieht. Aber seine Aufgabe besteht vor allem darin, sich überflüssig zu machen. Bohm erachtet es als sinnvoll, dass Gruppen wöchentlich oder 14-täglich zusammenkommen über eine längere Zeit, zwei Jahre oder mehr. Die Gruppe ist nicht in erster Linie für individuelle Probleme da, da es hauptsächlich um kulturelle Konditionierungen geht. Das Persönliche darf aber durchaus zum Thema werden. Eine Dialoggruppe ist keine Therapiegruppe. Es wird nicht versucht, jemanden zu heilen, obwohl das als Nebenprodukt vorkommen kann. Bohm spricht von Soziotherapie im Gegensatz zur individuellen Therapie. Eine Dialoggruppe ist aber auch nicht eine Encountergruppe, wo das Hochkommen von Emotionen erzielt werden soll. Beim Dialog sollten die Teilnehmer direkt miteinander reden und mit der Zeit lernen, sich an die Gruppe als Ganzes zu wenden. Es werden darin keine Entscheidungen getroffen, was in irgendeiner Sache zu tun ist. Das ist von entscheidender Wichtigkeit. Sonst ist man nicht frei. Es braucht einen leeren Raum, ohne Verpflichtung etwas zu tun, zu Schlüssen zu kommen oder etwas zu sagen oder nicht zu sagen. Der Dialog bleibt offen und frei, ein leerer Raum. Ein leerer Raum, in den alles Mögliche hineinkommen kann. Die Gruppe kommt ohne feste Aufgaben und Ziele zusammen, das Ziel besteht lediglich darin, kohärent und in Wahrhaftigkeit miteinander zu kommunizieren. Man versucht in einer solchen Gruppe nicht, etwas Nützliches zu tun. Die Vorstellung von etwas Nützlichem wäre eine Annahme, welche die Gruppe einschränkt. Auch Bohm macht die Erfahrung, dass in einer neu gegründeten Dialoggruppe die Teilnehmer zuerst eine Zeitlang um den heissen Brei herumreden. Scott Peck nennt das die Pseudogemeinschaft. Diese Neigung ist offenbar ganz allgemein in zwischenmenschlichen Beziehungen zu beobachten. Wenn es gelingt, den Dialog eine Zeitlang aufrechtzuerhalten, wird man feststellen, dass sich die Gruppenmitglieder verändern und sich auch ausserhalb der Dialogsituation anders verhalten. Sie werden das weitergeben und auch an anderen Orten nicht mehr um den Brei herumreden. Der Dialog wird zwangsläufig tief sitzende Annahmen der Teilnehmer ans Licht bringen. Chaos und Frustration sind unvermeidlich. Es ist wichtig, trotz aller Frustrationen dazubleiben, damit etwas Neues entstehen kann. Der Dialog wird nicht immer unterhaltsam sein, die Versuchung wird gross sein aufzugeben. Das, was hilft dranzubleiben, ist der Sinn, den man mit anderen teilt. Die unterschiedlichen Annahmen der Menschen haben eine stillschweigende Auswirkung auf den gesamten Sinn dessen, was wir tun. Ganz wichtig findet Bohm, dass die Annahmen und Meinungen jedes Beteiligten, die in der Gruppe aufgedeckt werden, in der Schwebe gehalten werden, dass man also weder entsprechend der Annahmen handelt, noch sie unterdrückt. Weder ist man überzeugt von seinen eigenen Annahmen, noch zweifelt man sie an. Man beurteilt nichts, findet nichts gut oder schlecht. Es wird nicht versucht, jemanden dazuzubringen, seine Meinung zu ändern. Jeder wird lediglich dessen gewahr, was in den Köpfen der anderen vorgeht, ohne zu irgendwelchen Schlussfolgerungen oder Urteilen zu kommen. Die Annahmen werden einfach aufgedeckt. Es kann zwar auch vorkommen, dass eine Sitzung zum Beispiel durch Wut gesprengt wird. Diejenigen, die dann nicht völlig in ihren Meinungen gefangen sind, sollten dann einspringen und versuchen, die Situation zu entschärfen, so dass die Gruppe sie betrachten kann. Es geht darum, den Dialog auf einer Ebene zu halten, wo die Meinungen ans Licht kommen, man sie aber noch ansehen kann. Beim Dialog geht es vielmehr um einen freien Fluss von Bedeutungen zwischen den Teilnehmern als um ein bestimmtes Thema. Mit der Zeit wird es viel wichtiger, die Freundschaft in der Gruppe zu spüren und zu erhalten, als eine bestimmte Meinung zu vertreten. Gemeinschaft entsteht, würde Scott Peck dazu sagen. Diese Art von Freundschaft beziehungsweise Gemeinschaft ist nicht von der persönlichen Beziehung zwischen den Teilnehmern abhängig. Eine neue Denkweise beginnt damit ins Leben zu treten, die auf der Entwicklung einer gemeinsamen Bedeutung basiert, die sich ständig im Dialog transformiert. Alle Beteiligten nehmen an dieser gemeinsamen Bedeutung teil, und die Gruppe hat bei dieser Entwicklung keinen von vornherein festgelegten Zweck. Kein Sprecher und kein bestimmter Inhalt sind dabei ausgeschlossen. Eine Veränderung nicht nur der Beziehung zwischen Menschen, sondern darüber hinaus eine Veränderung des Bewusstseins, indem diese Beziehungen entstehen, beginnt sich darin abzuzeichnen. Wir versuchen nicht, irgendetwas zu ändern, wir versuchen nur, uns all dessen bewusst zu werden. Und man kann die Ähnlichkeit zwischen den Schwierigkeiten, die in der Gruppe auftreten und den Konflikten und inkohärenten Gedanken in einem Einzelnen bemerken. Wenn wir das tun, werden wir feststellen, dass bestimmte Arten von Gedanken eine grössere Rolle spielen als andere. Einer der wichtigsten Gedanken überhaupt ist der des Notwendigen. Das Notwendige erscheint uns als unausweichlich. Im Dialog kann daher eine Situation entstehen, in der die eigene Meinung nicht beiseite geschoben werden kann und die des anderen ebenfalls nicht. Es entsteht dann das Gefühl, dass die Meinung des anderen in einem arbeitet, gegen einen opponiert. Beide befinden sich in einer Konfliktsituation. Wenn die Leute überzeugt sind, dass etwas notwendig ist, verstossen sie sogar gegen den Selbsterhaltungstrieb. Die Konflikte im Dialog, sowohl individuell als auch kollektiv – das ist wichtig –, drehen sich um die Vorstellung der Notwendigkeit. Bei allen ernsthaften Konflikten, ob nun in der Familie oder im Dialog geht es um verschiedene Sichtweisen des absolut Notwendigen. Solange es nicht diese Form annimmt, kann man die Angelegenheit immer noch aushandeln, aber wenn zwei Dinge absolut notwendig sind, kann man den gewohnten Weg der Verhandlung nicht einschlagen. Das, was zu tun ist, ist, lediglich die verschiedenen Vorstellungen vom absolut Notwendigen aufzudecken und miteinander in Widerstreit treten zu lassen. Die Menschen vermeiden das normalerweise, weil sie wissen, dass es dann Ärger gibt, und so gehen sie diesen Fragen aus dem Weg. Aber wenn wir den Dialog aufrechterhalten, werden sie ans Licht kommen. Mit der Zeit beginnen die Parteien zu erkennen, dass sich nichts bewegen kann, solange sie an der eigenen absoluten Notwendigkeit festhalten. Jeder beginnt zu erkennen, wie viel zerstört wird, nur weil man an dieser Vorstellung unbedingt festhalten will. Und vielleicht setzt sich dann die Einsicht durch, dass das, was bisher als unbedingt notwendig angeschaut wurde, vielleicht letztlich auch nicht so wichtig ist. Der Dialog kann dann in eine kreative, neue Phase eintreten. Diese Freiheit ermöglicht die kreative Wahrnehmung neuer Ordnungen der Notwendigkeit.    Bohm betrachtet dies als einen der ganz entscheidenden Punkte: Sobald wir auf eine Annahme stossen, müssen wir wahrnehmen, ob sie mit einer absoluten Notwendigkeit assoziiert ist. Dann werden wir erkennen, dass aus diesem Grund nichts mehr geht. Der Dialog zielt auf ein Verstehen des Bewusstseins  per se und gleichzeitig auf die Erkundung der problematischen Natur alltäglicher Beziehungen und der Kommunikation ab. Diese Definition bildet ein Fundament, einen Bezugspunkt für die Schlüsselkomponenten des Dialogs, als da sind: Miteinander geteilte Bedeutungen, das Wesen des kollektiven Denkens, die Allgegenwart der Fragmentierung, die Funktion der Aufmerksamkeit, der mikrokulturelle Kontext, angeleitete Prüfung, unpersönliche Gemeinschaft und das Paradox des Beobachters und des Beobachteten. Der Dialog ist ein Prozess direkter Begegnung von Angesicht zu Angesicht und sollte nicht mit endlosem Theoretisieren und endloser Spekulation verwechselt werden. Bohm ist der Meinung, dass sich während der Evolution des Menschen ein Reservoir stillschweigenden und offenkundigen Wissens angesammelt hat. Dieses Wissensreservoir ist es, aus dem ein Grossteil unserer Wahrnehmung der Welt stammt, der Bedeutung, die wir Geschehnissen zuschreiben, ja selbst unseres Gefühls von Individualität. Ein solches Wissen oder Denken verbreitet sich unabhängig von jedem Einzelnen, ja selbst von einer bestimmten Kultur wie ein Virus. In diesem Licht betrachtet sind unsere Versuche, unsere Probleme durch hoch personalisierte Analyse zu lösen oder aber dadurch, dass wir anderen Gruppen oder Individuen böse, ungünstige Eigenschaften zuschreiben, nur begrenzt hilfreich. Erforderlich ist, dass wir anfangen, ganz neu auf die Bewegung des Denkens zu achten und uns Orte ansehen, die wir zuvor ignoriert haben. Bohm benutzt die Analogie eines Flusses, der unentwegt an der Quelle verunreinigt wird. Ein Versuch, die Wasserverunreinigung stromabwärts zu beseitigen, kann daher nicht zur Lösung führen. Die wahre Lösung besteht darin, den Ursprung der Verunreinigung an der Quelle und das heisst eben beim Denkvorgang anzugehen. Im Dialog wird also dem Denken unsere Aufmerksamkeit zugewendet. Dadurch stossen wir zum Kern unserer Probleme vor und bereiten den Weg für eine kreative Transformation. Das Denken ist sich gegenwärtig seiner Konsequenzen zu wenig bewusst. In Bezug auf den Körper gibt es ein Phänomen, das Propriozeption oder Eigenwahrnehmung genannt wird. Der Körper kann seine eigenen Bewegungen wahrnehmen. Er ist sich zum Beispiel darüber bewusst, ob er sich selbst bewegt oder bewegt wird. In Bezug auf das Denken haben wir bisher keine solche Eigenwahrnehmung entwickelt. Bohm erachtet es als notwendig, dass auch das Denken propriozeptiv wirkt. Ein solches Denken wird sich nicht so verheddern, wie wir es normalerweise kennen. Wir könnten sagen, dass praktisch sämtliche Probleme der Menschheit auf die Tatsache zurückzuführen sind, dass das Denken nicht propriozeptiv, sich seiner selbst nicht bewusst ist. Es schafft Probleme, ohne zu erkennen, dass es selbst diese Probleme geschaffen hat. Der Sinn des In-der-Schwebe-Haltens ist es, Propriozeption möglich zu machen, einen Spiegel zu schaffen, damit wir die Folgen unseres Denkens erkennen können. Mit der Zeit werden wir in der Lage sein, uns unsere Meinungen ohne Feindseligkeiten mitzuteilen und dann gemeinsam zu denken. Solange wir unsere Meinung verteidigen, können wir das nicht. In einem gemeinsamen Denken wird jemand eine Idee haben, ein anderer wird sie aufgreifen, und ein dritter wird noch etwas hinzufügen. Das Denken wird fliessen und die Menschen werden aufhören, in Meinungen verrannt zu sein und einander gegenseitig überreden und überzeugen zu wollen. Der Sinn des Dialogs ist nicht, etwas zu analysieren, eine Auseinandersetzung zu gewinnen oder Meinungen auszutauschen. Das Ziel ist vielmehr, die eigenen Meinungen in der Schwebe zu halten und sie zu überprüfen, sich die Ansichten aller anderen Teilnehmer anzuhören, sie in der Schwebe zu halten und zu sehen, welchen Sinn sie haben. Wenn wir erkennen können, welchen Sinn all unsere Meinungen haben, teilen wir einen gemeinsamen Gedankeninhalt, selbst wenn wir nicht direkt übereinstimmen. Möglicherweise stellt sich dann heraus, dass die Meinungen eigentlich gar nicht so furchtbar wichtig sind. Wenn jeder die Standpunkte aller anderen in der Schwebe hält, tun alle dasselbe. Alle betrachten gemeinsam alle Standpunkte. Der Inhalt unseres Bewusstseins ist dann im Wesentlichen gleich. Dadurch wird eine andere Art des Bewusstseins in der Gruppe möglich, ein partizipierendes Bewusstsein. Das könnten wir als wahren Dialog bezeichnen, Scott Peck hätte es wirkliche Gemeinschaft genannt. Alle Teilnehmer werden darin an allen Annahmen und Meinungen in der Gruppe teilhaben. Wenn alle gemeinsam den Sinn aller Annahmen erkennen, sind die Bewusstseinsinhalte im Wesentlichen gleich. Überzeugung und Überredung sind in einem Dialog unangebracht. Solange wir die Annahmen von anderen bekämpfen, versuchen wir sie zu überzeugen oder zu überreden. Es macht keinen Sinn überredet oder überzeugt zu werden. Dies ist weder kohärent noch rational. Wenn jemand Recht hat, muss er andere nicht überreden. Wenn jemand andere überreden muss, ist die Sache wahrscheinlich irgendwie zweifelhaft. In der Partizipation entsteht ein gemeinsamer Sinn, der dennoch das Individuelle nicht ausschliesst. Das Individuum kann verschiedener Meinung sein als jemand anderes, aber seine Ansicht wird dann ebenfalls von der Gruppe aufgenommen. Darin ist jeder völlig frei. Das hat nichts mit einem Mob zu tun, in dem der kollektive Geist die Kontrolle übernimmt. Jeder kann sich zwischen den Polen des Individuums und des Kollektivs frei bewegen. Es entsteht eine Harmonie des Individuellen und des Kollektiven, indem sich das Ganze fortwährend auf Kohärenz zubewegt. Es gibt einen kollektiven Geist und einen individuellen Geist, welche die Ufer bilden, zwischen denen der Fluss des Dialogs stattfindet. Die Meinungen spielen daher keine allzu grosse Rolle mehr. Die Gesellschaft basiert auf gemeinsamen Sinnsetzungen, die die Kultur ausmachen. Gegenwärtig ist die Ansammlung gemeinsamer Sinnsetzungen in der Gesamtgesellschaft derart inkohärent, dass kaum noch eine wirkliche Bedeutung festzustellen ist. Eine Folge des dialogischen Prozesses könnte sein, dass wir ganz natürlich und mühelos viele unserer Sinnsetzungen fallenlassen. Wir werden nie zur Wahrheit gelangen, wenn der Gesamtsinn nicht kohärent ist. Wenn ein kohärenter Sinn entstehen würde, würde sich eine Kultur herausbilden, wie sie noch niemals wirklich existiert hat. Eine Kultur könnte entstehen, in der Meinungen und Annahmen nicht inkohärent verteidigt werden. Wenn ein Einzelner alle Sinnsetzungen im Geist in der Schwebe halten kann, besitzt er die Haltung des Dialogs. Diese Haltung ist notwendig für eine neue Geschichte. Einen Dialog zu führen kann zumindest zu Beginn sehr frustrierend sein. Es ist frustrierend, diese Vielfalt von Meinungen in der Gruppe zu haben. Die einen wollen sich durchsetzen, das ist ihre Art, mit der Situation umzugehen. Andere neigen dazu, sich zurückzuhalten, vor allem in der Gegenwart dominanter Personen. Es gibt solche, die die dominante Rolle spielen, andere die Rolle des Schwachen und Machtlosen, der sich dominieren lässt. Diese Rollen basieren natürlich auch wieder auf Annahmen und Meinungen über sich selbst. Eine andere Schwierigkeit besteht darin, dass in Gruppen oft ein Druck entsteht, möglichst schnell seine Meinung einzubringen. Es gibt gar keine Zeit mehr, das Gesagte aufzunehmen oder darüber nachzudenken. Es ist daher wichtig, in einer Gruppe genügend Raum für alle zu schaffen. Weder sollte man sich zu schnell zu Wort melden, noch sollte man allzu lange damit warten. Es sollte auch Schweigeperioden geben. Scott Peck redet vom Stadium der Leere. Allerdings gibt es keine Regeln für den Dialog, höchstens hilfreiche Prinzipien, die man miteinander entdeckt. Zum Beispiel, dass man jedem Teilnehmer die Möglichkeit geben muss, sich zu äussern. Man hat den Sinn davon eingesehen und will es daher so tun. Es wird in einer Dialoggruppe auch immer wieder Leute geben, die weggehen, weil sie den Sinn davon nicht einsehen können. Der wichtigste Beweggrund, trotz aller Schwierigkeiten am Dialog dranzubleiben, besteht in der Einsicht, dass wir daran glauben, dass wir ihn führen müssen. Es geht darum, ein Band zu schaffen, das wir unpersönliche Gemeinschaft nennen könnten. Ein gemeinsames Bewusstsein. Ein solches anzustreben muss nicht unbedingt angenehm sein. Miteinander geteilte Glückseligkeit beziehungsweise ein Gemeinschaftsgefühl wird sich erst mit der Zeit einstellen. Es gibt keinerlei Grund, an einer Annahme festzuhalten, wenn es Hinweise darauf gibt, dass sie falsch sein könnte. Eine korrekt strukturierte Annahme oder Meinung ist immer offen für Hinweise, dass sie nicht richtig sein könnte. Es ist nicht notwendig, dass jeder überzeugt und zur gleichen Meinung bekehrt wird. Der gemeinsame Geist, das gemeinsame Bewusstsein ist wichtiger als der Inhalt der Meinungen. Man wird bald erkennen, dass diese Meinungen ohnehin begrenzt sind. Wenn unsere Sinnsetzungen inkohärent sind, wie sollen wir dann in Wahrheit partizipieren. Der Versuch, den dialogischen Geist in die Gesellschaft hineinzutragen, wäre sicherlich relevant dafür, eine kreative und harmonische Ordnung in der Welt herbeiführen zu helfen. Dass wir die Frustrationen des Dialogs aushalten, kann eine weit grössere Bedeutung haben, als es auf den ersten Blick scheint. Tatsächlich könnten wir sagen, dass wir dadurch nicht mehr Teil des Problems sind, sondern zu einem Teil der Lösung werden. Mit anderen Worten: Die Bewegung in unserem Geist hat die Eigenart der Lösung, sie ist ein Teil der Lösung. So klein sie auch sein mag, sie gehört von der Beschaffenheit her zur Lösung und nicht zum Problem. Wie gross auch immer die grössere Bewegung sein mag, sie gehört von der Beschaffenheit her zum Problem, nicht zur Lösung. Folglich geht es hauptsächlich darum, mit etwas zu beginnen, was von der Qualität her zur Lösung gehört. Dies wird sich auf der stillschweigenden Ebene mitteilen und von der stillschweigenden Ebene aus in der Welt Einfluss nehmen. Von der Vorstellung der Wahrheit muss man sich hüten. Man kann möglicherweise durch den Dialog zur Wahrheit gelangen, aber im Grunde geht es im Dialog um Sinn. Wenn der Sinn inkohärent ist, wird man nie zur Wahrheit gelangen. Was nützt es, die Wahrheit für uns selbst oder für unsere Gruppe gepachtet zu haben. Es ist ein geringer Trost, wenn es weiterhin Konflikte gibt. Wichtig ist es, einander zuzuhören. Dies ist verloren gegangen. In gewisser Weise ist sogar die Naturwissenschaft zur Religion der modernen Zeit geworden. Sie spielt die Rolle der Wahrheitsstifterin, die die Religion früher innehatte. Daher können Wissenschaftler ebenso wenig zusammenkommen wie unterschiedliche Religionen, wenn sie sich einmal zu weit auseinander bewegt haben. Zu den Prinzipien des Dialogs gehört es, dass wir einander zuhören und keine Möglichkeit ausschliessen. Eine Annahme der Wissenschaft heute, der sich praktisch alle Wissenschaftler angeschlossen haben, besteht darin, dass das Denken fähig sei, irgendeinmal alles zu begreifen. Dass wir irgendeinmal absolute Wahrheit erkennen werden. Dies ist möglicherweise nicht zutreffend. Und auch die Relativisten haben nicht Recht, die behaupten, dass wir nie zur Erkenntnis einer absoluten Wahrheit gelangen werden, denn sie sind in einem eigenen Paradox gefangen, indem sie annehmen, dass der Relativismus die absolute Wahrheit ist. Menschen, die glauben, dass sie zu irgendeiner Form von absoluter Wahrheit finden werden, können keinen Dialog führen. Im Dialog gehen wir alle Wege gemeinsam und erkennen schliesslich, dass keiner eine Rolle spielt. Wir sehen die Bedeutung aller Wege und gelangen daher zum Nichtweg. Unterhalb der Oberfläche sind alle Wege gleich, eben aufgrund der Tatsache, dass sie alle Wege sind, starr und unbeweglich. Wenn wir das Denken anderer erkennen, wird es zu unserem Denken und wir behandeln es, als sei es unser Denken. Und wenn eine emotionale Ladung hochkommt, teilen wir auch alle emotionalen Ladungen, so sie uns bewegen, wir halten sie zusammen mit allen Gedanken. Bohm redet von der Vision des Dialoges: Einer in der Gruppe bringt einen Gedanken ein, den man vielleicht gerade selbst hatte. Ein weiterer greift ihn auf und führt ihn weiter. So kommt es zu einem gemeinsamen Denken in einer funktionierenden Gruppe, zu einer gemeinsamen Partizipation am Denken. Alles ist ein einziger Prozess. Ein Gedanke wird gemeinsam entwickelt. Wenn sich dann jemand mit einer anderen Meinung zu Wort meldet, hören alle ihm zu und teilen auch diesen Sinn zusammen. Im dialogischen Prozess entwickelt sich Sensibilität, ganz ohne dass wir etwas dafür tun. Sensibilität ist die Fähigkeit zu spüren, dass etwas vorgeht, zu spüren, wie man selbst reagiert, wie die anderen reagieren. Diese vielen Unterschiede und Ähnlichkeiten zu empfinden. Das alles ist die Grundlage der Wahrnehmung. Sensibilität hat etwas mit den Sinnen zu tun, aber geht noch darüber hinaus. Es geht um die Wahrnehmung von Bedeutung, von Sinn, es geht um eine subtilere Wahrnehmung. Der Sinn ist das, was alles zusammenhält, der Zement. Der Sinn ist nicht statisch, er fliesst. Und wenn wir den Sinn miteinander teilen, fliesst der zwischen uns und hält die Gruppe zusammen. Wenn die Teilnehmer hingegen an ihren Annahmen festhalten, denken sie nicht gemeinsam. Jeder steht damit allein. Die Sensibilität wird durch die Verteidigung von Annahmen und Meinungen blockiert. Eine Gruppe wird weder verurteilen noch verdammen. Wenn jemand seine Annahmen verteidigt, dann tut er das halt, und man wird sich auch dem wieder mit einer offenen Wahrnehmung zuwenden. Eine dialogische Gruppe wird einfach alle Meinungen und Annahmen genau betrachten und sie ans Licht kommen lassen. Daraus wird eine Veränderung kommen. Ein typisches Problem beim Führen eines Dialogs ist die Polarisierung. Plötzlich ist eine Gruppe gespalten in zwei Lager. Offenheit auch für dieses Phänomen wird wieder zu einer Lockerung führen. Wenn man seine Meinungen verteidigt, ist man nicht ernsthaft. Auch wenn man versucht, dem Wissen um etwas Unangenehmes in einem selbst aus dem Weg zu gehen, ist man es nicht. Ein Grossteil unseres Lebens ist nicht ernsthaft. Und die Gesellschaft ist es, die uns das lehrt. Sie lehrt uns, nicht allzu ernsthaft zu sein, sie lehrt uns, dass es alle möglichen inkohärenten Dinge gibt und wir nichts dagegen tun können, und dass wir uns nur unnötig aufregen, wenn wir zu ernsthaft sind. Aber wenn wir einen Dialog führen, müssen wir ernsthaft sein. Wenn wir das nicht sind, ist es kein Dialog. Im Dialog gibt es keinen Platz für das Autoritätsprinzip, für Überordnungen und Unterordnungen. Wir wollen frei sein von Hierarchie und Autorität, wenn wir uns bewegen. Da wir in einem Dialog keine festen Zielsetzungen und keine Tagesordnung haben und nichts tun müssen, brauchen wir im Grunde genommen keine Autorität. Vielmehr brauchen wir einen Raum, in dem es keine Autorität gibt, keine Hierarchie, keine bestimmten Aufgaben und Ziele, eine Art leerer Raum, wo wir zulassen können, dass über alles geredet wird. Das Entscheidende ist, dass wir in der Lage sind, unsere Urteile und Annahmen gemeinsam zu überprüfen und die Annahmen des jeweils anderen anzuhören. Durch den Dialog werden Urteile und Annahmen auf kollektive Weise gelockert. Eine Transformation des Wesens des Bewusstseins ist möglich auf der individuellen und auf der kollektiven Ebene, und ob wir das kulturell und gesellschaftlich lösen können, hängt vom Dialog ab. Das ist Bohms These. Es ist von grösster Wichtigkeit, dass dies gemeinsam geschieht, denn die Veränderung nur eines Individuums hat wenig Einfluss auf das Allgemeine. Die Bedeutung einer kollektiven Transformation ist weit grösser. Die Liebe wird verschwinden, wenn wir nicht miteinander kommunizieren und eine gemeinsame Sinnsetzung (Scott Peck spricht von Konsens) finden können. Wenn wir jedoch zu einer wirklichen Kommunikation fähig sind, werden Gemeinschaft, Partizipation, Freundschaft und Liebe wachsen und gedeihen. Das wäre der Weg. Die entscheidende Frage ist, ob wir die Notwendigkeit dieses Prozesses einsehen. Wenn man einsieht, dass etwas absolut notwendig ist, wird man etwas unternehmen. Schliesslich könnte dieser Prozess noch über Dialog hinausführen in etwas, was Kommunion genannt worden ist. Eine Partizipation nicht nur an der Gruppe, sondern am Ganzen. Bohm sieht all unsere menschlichen Probleme im Grossen und Kleinen als Folge der Arbeitsweise unseres Denkens. Vor allem die Fragmentierung, eine bestimmte Denkweise, die die Dinge in Teilstücke aufspaltet, als würden sie getrennt voneinander existieren, ist dafür verantwortlich. Dinge, die in Wirklichkeit zusammenpassen und zusammengehören, werden behandelt, als wäre dem nicht so. Ein solches Denken führt in die Irre. Diese Entgleisung des Denkens hat möglicherweise vor tausenden oder zehntausenden von Jahren begonnen, wir wissen es nicht. Was wir aber müssen ist etwas gegen diese Vorgehensweise des Denkens unternehmen. Wir können nicht zulassen, dass sie uns vollends zerstört. Dabei müssen wir bis in die Wurzel des Problems vordringen, an das Fundament, an die Quelle. Wenn ein Strom kurz nach der Quelle verunreinigt wurde, hilft es wenig, weiter stromabwärts das Wasser reinigen zu wollen. Was es braucht ist eine Korrektur direkt an der Quelle. Die These Bohms ist, dass unser Denken bereits direkt an der Quelle verunreinigt wird. Daher ist die Ursache nicht in der Zeit zu suchen, auch nicht in der Zeit, wo dieses Problem begann, sondern immer jetzt. Dabei geht es nicht nur darum, übers Denken zu reden und nachzudenken, sondern zu sehen, wie das Denken wirklich arbeitet, über das Benennen mit Worten hinaus. Das Denken ist ein Vorgang, wir müssen in der Lage sein, ihm unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, so wie wir äusseren Vorgängen in der materiellen Welt unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Vielleicht wissen wir zuerst gar nicht, was das heisst, dem Denken unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Vom Denken hängt alles ab; wenn das Denken fehlgeht, werden wir alles falsch machen. Aber wir sind so sehr daran gewöhnt, das Denken als selbstverständlich hinzunehmen, dass wir es als Prozess überhaupt nicht mehr beachten. Die Frage, die sich stellt, ist: Was ist das für eine Verfahrensweise, die unentwegt die falsche Art  Zusammenleben hervorbringt? Was geht in der Tiefe vor? Die wirkliche Krise besteht nicht aus Kriegen, Kriminalität, den Drogen, dem wirtschaftlichen Chaos, der Umweltverschmutzung und so weiter, sondern sie besteht im Denken, das sie verursacht und zwar unentwegt. Es hilft auch nicht zu denken, die da drüben denken verkehrt, aber ich denke richtig. Das Denken durchdringt uns vollständig. Es ist vergleichbar mit einem Virus. Es geht um eine Erkrankung des Denkens, des Wissens, der Information, die sich auf der ganzen Welt und überall ausgebreitet hat. Jeder Einzelne ist an diesem Virus erkrankt. Wir bekämpfen den Virus nur, indem wir ihn erkennen und seine Existenz anerkennen. Sobald einer beginnt, sich das Denken genauer anzuschauen, betrachtet er die Quelle der Probleme. Denn etwas läuft schief in Bezug auf den Gesamtprozess des Denkens, der kollektiv und uns allen gemeinsam ist. Eine grundlegende Annahme, die wir in Frage stellen müssen, ist die, dass unser Denken unser eigenes individuelles Denken ist. Wir müssen erkennen, was das Denken wirklich ist, ohne dass wir etwas voraussetzen. Die Tiefenstruktur des Denkens ist das, was uns gemeinsam ist, und an sie müssen wir herankommen. Wir werden erkennen, dass der Inhalt des Denkens und die Tiefenstruktur nicht wirklich getrennt sind voneinander, denn die Art und Weise, wie wir über das Denken denken, hat Auswirkungen auf seine Struktur. Also müssen wir sowohl Inhalt als auch Struktur genauer betrachten. Bohms These ist, dass nicht wir etwas wissen, sondern das Wissen selbst alle möglichen Dinge weiss. Wissen, was gleichbedeutend mit Denken ist, bewegt sich autonom und geht von einem Menschen auf den nächsten über. Es gibt ein Wissensreservoir für die gesamte Menschheit, vergleichbar mit verschiedenen Computern, die einen gemeinsamen Datenspeicher haben. Dieses Gedankenreservoir ist seit Jahrtausenden in Entwicklung begriffen und angefüllt mit allen möglichen Inhalten. Dieses Wissen oder Denken kennt den gesamten Inhalt, aber es weiss nicht, was es tut. Dieses Wissen verkennt sich selbst, indem es meint zu wissen, dass es nichts tut. Es erklärt: „Ich bin für dieses Problem nicht verantwortlich. Ich bin nur dazu da, dass du aus mir schöpfen kannst.“ Dieses Denken ist eine Funktion des Gedächtnisses. Ein grosser Teil davon ist stillschweigendes Wissen, Wissen, das man nicht in Worte fassen kann, das aber dennoch vorhanden ist. Ohne dieses stillschweigende Wissen können wir praktisch nichts tun. Wir sind der Meinung, dass, wenn wir etwas gedacht haben, sich dieser Gedanke wieder in Luft auflöst. Aber der Gedanke setzt sich im Gehirn fest als Erinnerung. Als Gedächtnis. Denken und Fühlen sind ein und derselbe Prozess, nicht zwei verschiedene. Und beide kommen aus dem Gedächtnis, wo sie wahrscheinlich untrennbar miteinander vermischt sind. Möglicherweise haben sich unsere Grosshirnrinde und unser Vorderhirn in der Evolution so schnell entwickelt, dass keine harmonische Beziehung zu den älteren Teilen, die vorher schon da waren, zustande kam. Das alte Gehirn hatte es nie so richtig gelernt, den Unterschied zwischen einem Bild und der Wirklichkeit auszumachen, weil das nicht notwendig war. Mit der Entwicklung des Grosshirns wurde es möglich, an etwas zu denken und damit ein Bild davon in der Vorstellung hervorzurufen. Ein Vorstellungsbild kann in uns dieselbe Denkreaktion hervorrufen, wie das Ding selbst. Die Hauptumgebung des alten Gehirns ist inzwischen nicht mehr die Natur, sondern das neue Gehirn, denn die Natur wird nur noch durch den Filter dieses Grosshirns wahrgenommen. Vielleicht hat dies alles damit zu tun, dass unser Denken in die Irre gegangen ist. Vorstellungen und Bilder haben eine gewaltige Wirkung in uns bekommen, weil das Denken fähig ist, uns eine Repräsentation dessen zu liefern, was wir erfahren. Die Wahrnehmung präsentiert uns etwas, und das Denken abstrahiert es, repräsentiert es. Das Entscheidende, der Kernpunkt ist, dass diese Repräsentation nicht nur im Denken oder in der Vorstellung gegenwärtig ist, sondern mit der tatsächlichen Wahrnehmung oder Erfahrung verschmilzt. Mit anderen Worten, die Repräsentation verschmilzt mit der Präsentation, so dass das als Wahrnehmung präsentierte bereits zum grossen Teil eine Repräsentation ist. Also präsentiert es sich erneut. Wie man etwas erfährt, hängt davon ab, wie man es repräsentiert oder miss-repräsentiert. Falsch an diesem Prozess ist nicht, dass er stattfindet, sondern dass wir uns dessen nicht bewusst sind. Der Mangel an Bewusstheit in Bezug auf diesen Vorgang ist das Entscheidende. Wenn jemand uns erklärt, „Leute dieser Kategorie sind schlecht“, und wir das akzeptieren, geht die Repräsentation des Denkens in die Präsentation der Wahrnehmung ein. Sobald wir das Vorurteil akzeptiert haben, geht es ins implizierte, stillschweigende Denken über. Wenn wir dann einem solchen Menschen begegnen, kommt es als Präsentation hoch. Die Schlechtigkeit wird dann als etwas, was diesem Menschen eigen ist, wahrgenommen. Wichtig ist zu erkennen, dass die meisten unserer Repräsentationen kollektiv entstehen, und dass dies ihnen noch grössere Macht verleiht. Wenn alle sich über etwas einig sind, nehmen wir das gern als Beweis, dass es richtig ist oder doch richtig sein könnte. Dadurch geraten wir unter Druck, denn wir wollen nicht ausserhalb des allgemeinen Konsenses stehen. Das heisst, dass wir ständig unter dem Druck stehen, eine bestimmte Repräsentation zu akzeptieren und es eben so zu sehen. Der Konsens überall auf der Welt lautet zum Beispiel, dass man ein Selbst hat, denn alles weist darauf hin, dass wir eines haben. Wenn alles glatt läuft, können wir unmöglich erkennen, dass hier etwas nicht stimmt. Denn wir haben bereits die Annahme akzeptiert, dass das, was geschieht, unabhängig vom Denken ist. Wenn etwas repräsentiert wird und dann auf diese Weise präsentiert wird, können wir nicht erkennen, was geschieht. Der Vorgang ist von der Wahrnehmung ausgeschlossen. Sobald wir uns diesen Dingen zuwenden, bekommen wir langsam ein Gefühl dafür, wo wir in die Irre gehen, dass nämlich ein Grossteil von dem, was wir für Fakten halten, in Wirklichkeit keine sind. Unsere Sichtweise der Welt ist bestimmt von den allgemeinen, kollektiven Repräsentationen, die in unserer Wissenschaft und unserer Kultur gang und gäbe sind. Wenn wir diese fallen lassen könnten, wäre eine Veränderung vielleicht möglich, weil die Welt anders präsentiert wird. Wenn wir lernen könnten zu sehen, wie das Denken Präsentationen aus Repräsentationen schafft, würden wir uns nicht länger davon täuschen lassen. Um eine Welt zu schaffen, braucht es mehr als einen Einzelnen, und daher ist die kollektive Repräsentation der Schlüssel. Es reicht nicht, wenn ein Einzelner seine Repräsentationen beendet. Es ist zwar gut, wenn er es tut, aber die wahre Veränderung liegt in der Transformation der kollektiven Repräsentation. Bohm erkundet also die Art und Weise, in der die Inputs der Wahrnehmung mit dem Gedächtnis verschmelzen, so dass Repräsentationen erzeugt werden, die unsere Augenblickserfahrung leiten. Das ist ein natürlicher und notwendiger Vorgang, und doch ist die Ursache der kollektiven Inkohärenz im Prozess der Konstruktion dieser Repräsentationen zu suchen. Laut Bohm liegt die grundlegende Schwierigkeit darin, dass wir automatisch annehmen, unsere Repräsentationen seien ein wahrheitsgetreues Abbild der Realität, anstatt von relativen Handlungswegweisern auszugehen, die auf reflexiven, unhinterfragten Erinnerungen beruhen. Sobald wir annehmen, dass die Repräsentationen von Grund auf wahr sind, präsentieren sie sich selbst als Realität, wir haben keine andere Wahl als entsprechend zu handeln. Bohm schlägt nun nicht vor, den Versuch zu machen, den Prozess der Repräsentation zu ändern (was unmöglich sein mag), sondern dass wir der Tatsache gewahr werden, dass jede gegebene Repräsentation, die wir instinktiv als Realität wahrnehmen, möglicherweise alles andere als wirklich oder wahr sein mag. Wenn wir sie von einem solchen Blickwinkel aus betrachten, wären wir vielleicht in der Lage eine Qualität reflektierender Intelligenz in uns zu wecken, eine Art Urteilsfähigkeit, die uns erlaubt, grundlegend falsche Repräsentationen wahrzunehmen und auf sie zu verzichten. Bohm weist auch darauf hin, dass es sich bei vielen menschlichen Problemen um Paradoxe und nicht um Probleme handelt, dass wir aber allgemein darin übereinstimmen, dass es Probleme sind. Dadurch wird eine grundlegend widersprüchliche Struktur geschaffen. Nach Bohms These stehen wir in Wirklichkeit vor einem Paradox, nicht vor einem Problem. Da ein Paradox keine erkennbare Lösung hat, ist eine neue Herangehensweise erforderlich, nämlich anhaltende Aufmerksamkeit für das Paradox selbst, statt eines entschlossenen Versuchs, das Problem zu beseitigen. Aus Bohms Blickwinkel gesehen hat diese Verwechslung von Problem und Paradox Auswirkungen auf allen Ebenen der Gesellschaft, von der individuellen bis zur globalen. Wenn etwas auf der psychischen Ebene schief läuft, führt es in die Irre, die daraus resultierende Situation als Problem zu beschreiben. Es wäre besser zu sagen, dass wir uns mit einem Paradox konfrontiert sehen. Erforderlich ist in einem solchen Fall nicht irgendein Verfahren zur Problemlösung. Solange dieses Denken und Fühlen die Oberhand behält, gibt es schlicht und einfach keine Möglichkeit, die Sache in Ordnung zu bringen. Aufmerksamkeit, die weit über das bloss Verbale und Intellektuelle hinausgeht, kann die Wurzel des Paradoxons zur klaren Erkenntnis bringen. Das Paradox löst sich auf, wenn seine Nichtigkeit und Absurdität klar erkannt und verstanden wird. Es kann sich aber nicht auflösen, solange es als Problem behandelt wird. Das Problem kann dann nur wachsen und in ständig wachsende Verwirrungen ausufern. Denn es ist ein wesenhaftes Merkmal des Denkens, dass das Gehirn an einem Problem arbeiten wird, bis es eine Lösung gefunden hat, wenn der Geist eine Problemstellung erst einmal akzeptiert hat. Dieser Grundzug ist eine notwendige Voraussetzung des rationalen Denkens. Wenn der Geist ein Paradox behandelt, als sei es ein reales Problem, bleibt er für alle Ewigkeit im Paradox gefangen, das ja keine Lösung hat. Ganz offensichtlich ist es daher wichtig, den Unterschied zwischen einem Problem und einem Paradox zu erkennen und auf beide in angemessener Weise zu reagieren. Als Wurzelparadox betrachtet Bohm die relative Unabhängigkeit der Art der Denktätigkeit von deren Inhalt, die zwar beim Nachdenken über praktische und technische Themen angemessen ist, aber in die Irre führt, sobald man über sich selbst nachzudenken beginnt. Bei genauer Beobachtung wird man dann feststellen, dass dieser Ansatz zu einer paradoxen Struktur der inneren Aktivität führt. Das Paradox liegt darin, dass man zwar seine eigenen Gedanken und Gefühle als unabhängig und getrennt von dem Denken behandelt, das über sie nachdenkt, dass es aber offensichtlich ist, dass keine solche Trennung und Unabhängigkeit existiert und auch nicht existieren kann. Wenn ein Mensch also versucht, seine Neigung zur Selbsttäuschung zu überwinden, sieht er sich im Wurzelparadox gefangen, das heisst, im Paradox, das seine Denktätigkeit von eben dem beherrscht wird, was sie überwinden will. Seit unvordenklichen Zeiten haben die Menschen im Allgemeinen begriffen, dass denken und fühlen normalerweise von Gier, Gewalt, Selbsttäuschung, Angst, Aggressivität und anderen Reaktionsformen infiziert sind, die zu Korruption und Verwirrung führen. Grösstenteils ist dies jedoch als Problem angesehen worden, was dazu führte, dass die Menschen sich bemühten, die Unordnung in ihrer eigenen Natur zu überwinden oder zu beherrschen. Es gibt zahllose Methoden dafür. Beispielsweise haben alle Gesellschaften eine Reihe von Strafen eingeführt, die darauf abzielen, durch Einschüchterung ein richtiges Verhalten sicher zu stellen, gleichzeitig gibt es eine Reihe von Belohnungen als Anreiz. Da sich das als unzureichend erwies, kam es zusätzlich zur Schaffung von Moralkodexen und Ethiken sowie verschiedenster religiöser Vorstellungen, in der Hoffnung, dass diese die Menschen in die Lage versetzen würden, aus eigenem Antrieb ihre falschen und bösen Gedanken und Gefühle in Schach zu halten. Aber auch dies hat nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Da die Unordnung in der Natur des Menschen das Resultat eines Paradoxes ist, kann kein Versuch, es als Problem zu behandeln, diese Unordnung beseitigen. Im Gegenteil, solche Versuche vergrössern normalerweise nur die Verwirrung und schaden daher möglicherweise mehr als sie nützen. Ich nehme an, die Parallele zum Inzesttabu und seinen Folgen ist hier offensichtlich. Der Versuch, die eigenen Probleme und die Probleme der Gesellschaft zu lösen, wird eher die bestehende Verwirrung vermehren, als zu ihrer Beendigung beitragen. Nach Jahrhunderten der Gewohnheit und Konditionierung neigen wir dazu anzunehmen, dass wir selbst im Grunde in Ordnung sind und unsere Schwierigkeiten im Allgemeinen äussere Ursachen haben, die als Probleme behandelt werden können. Und sogar, wenn wir erkennen, dass innerlich etwas bei uns nicht stimmt, gehen wir gewohnheitsmässig davon aus, dass wir mit ziemlicher Bestimmtheit auf das Falsche oder Fehlende in uns selbst zeigen können, so als wäre dies von der Denktätigkeit selbst, mit der wir das Problem der Korrektur des Fehlers formulieren, getrennt und unabhängig. Erforderlich wäre aber eine tiefe und intensive Klarheit, eine Achtsamkeit, die über die Bilder und intellektuellen Analysen unseres verworrenen Denkprozesses hinausgeht und fähig ist, zu den widersprüchlichen Voraussetzungen und Gefühlen vorzustossen, in denen die Verwirrung ihren Ursprung hat. Eine solche Klarheit impliziert eine Bereitschaft zur Wahrnehmung der zahlreichen Paradoxa in unserem täglichen Leben, in unseren sozialen Beziehungen, letztendlich auch in dem Denken und Fühlen, das scheinbar in jedem von uns das „innerste Selbst“ bildet. Was es braucht ist anhaltende, ernsthafte und sorgsame Aufmerksamkeit für die Tatsache, dass der Geist nach Jahrhunderten der Konditionierung in den meisten Fällen dazu neigt, sich in Paradoxa zu verfangen und fälschlicherweise die daraus resultierenden Schwierigkeiten für Probleme zu halten. Irgendwo ganz hinten in uns ist jemand, der beobachtet, was falsch ist, aber er selbst wird nicht beobachtet. Genau das Falsche, das er sehen sollte, steckt im Betrachter selbst, weil das der sicherste Ort ist, es zu verbergen. Verstecke es im Betrachter selbst, und der Betrachter wird es niemals finden. Bohm ist der Meinung, dass es möglich ist, Annahmen in der Schwebe zu halten und zwar sowohl für sich allein, als auch im Dialogkontext. Er regt den Gedanken an, dass eine Propriozeption des Denkens imstande sein könnte, den Kreislauf der Verwirrung unmittelbar zu durchschauen. Gegenwärtig fehlt uns eine sofortige Rückmeldung der Denkbewegung, wie sie der Körper in der Eigenwahrnehmung oder Propriozeption kennt. Bohms Überzeugung gemäss kann die Denkbewegung aber genauso propriozeptiv werden wie es der Körper ist, wenn wir das In-der-Schwebe-Halten als Basis nehmen. Wenn wir durch einen Zuhörer zuhören, werden wir nie wirklich zuhören. Die Frage ist also, was erforderlich ist, um so tief in die Beobachtung zu gehen, dass wir uns selbst ohne einen Betrachter ansehen oder uns selbst und anderen ohne einen Zuhörer zuhören können. Bohm betrachtet es als möglich, die Aktivität in der Schwebe zu halten, ihr zu erlauben sich zu zeigen, zu erblühen und zu entfalten, so dass wir ihre Struktur erkennen können. Die Fähigkeit, sich in der Schwebe zu halten, betrachtet er als ein natürliches Potential, das wir aber bis jetzt wenig genutzt haben. Vielleicht ist uns die Tendenz angeboren, mit Gewalt zu reagieren, wo wir besser etwas in der Schwebe halten sollten. Bohm ist aber der Meinung, dass wir das In-der-Schwebe-Halten lernen müssen und können. Für ihn ist klar, dass der Beobachter eine Illusion ist, dass Gedanken und Gefühle sich als eigenständige Prozesse bewegen und nicht durch ein Ich geleitet werden. Sie werden nicht durch das Ich hervorgerufen und sie werden auch nicht durch das Ich erfahren. Die Vorstellung von einem Ich ist zwar nicht gänzlich falsch, sonst wäre sie wahrscheinlich auch nie entstanden. Zuerst einmal ist es auch natürlich, dass wir davon ausgehen, dass es ein Selbst als eine Art Zentrum gibt und der Körper ein Zentrum der Aktivität ist. Die Frage ist, wie hat sich aus dieser natürlichen, nützlichen Unterscheidung die Widersprüchlichkeit eines Ego herausgebildet. Wäre es möglich, dass sich das Denken auf ähnliche Weise selbst beobachtet wie der Körper, um zu erkennen, was es tut. Aufmerksamkeit könnte diese Propriozeption hervorbringen. Insgesamt ist bei Bohm anzumerken, dass seine wissenschaftliche Denkweise etwas komplizierter und daher schwerer zugänglich ist als zum Beispiel diejenige von Krishnamurti. Bohm ist überzeugt, dass Einsicht oder Wahrnehmung das Ganze beeinflussen kann, nicht nur das auf Schlussfolgerungen beruhende Verstehen, sondern auch die chemische Ebene, die stillschweigende Ebene, alles. Wenn wir als Einsicht erfahren, die Einsicht gewinnen, dass das Denken nicht propriozeptiv ist, aber Propriozeption nötig hat, könnte das die Synapsen im Gehirn erreichen, die diese Komplexe steuern. Bohm unterscheidet das wörtliche Denken und das partizipierende Denken. Das wörtliche Denken ist praktisch und ergebnisorientiert, und sein Ziel ist es, voneinander getrennte, eindeutige Bilder der Dinge zu formen, so wie sie sind. Das wissenschaftliche und das technische Denken gehören zum wörtlichen Denken. Davon unterscheidet Bohm das partizipierende Denken, eine Art des Denkens, in dem Grenzen als durchlässig empfunden werden, Objekte auf einer tieferen Ebene miteinander verbunden sind und die Bewegung der wahrnehmbaren Welt als teilhabend an irgendeinem vitalen, absoluten Sein empfunden wird. Laut Bohm ist der wesentliche Punkt der, dass sowohl das wörtliche als auch das partizipierende Denken Vorzüge und Grenzen haben. Er spricht sich für eine erneute Erkundung eines angemessenen Verhältnisses zwischen den beiden Denkweisen aus. Der Dialog ist für eine solche Erkundung ausserordentlich geeignet. Bohms These zufolge ist die Sichtweise des partizipierenden Denkens seiner eigenen Vision der implizierten Ordnung nicht unähnlich, in der die Phänomene der manifesten Welt als temporäre Aspekte der Bewegung einer tieferen, natürlichen Ordnung begriffen werden, die sich in einem Zustand unendlich fliessenden Einfaltens und Entfaltens befindet. Bohm zweifelt daran, dass irgendeine Form des Denkens das fassen kann, was wir als das Unbegrenzte verstehen. Er erfährt die Aufmerksamkeit im Gegensatz zum Denken als das, was potentiell unbegrenzt und daher fähig ist die subtile Natur des Unbegrenzten zu erfassen. Dennoch beharrt er darauf, dass eine anhaltende Erkundung der Natur des Bewusstseins und des Grunds des Seins essentiell ist, wenn wir irgendeine Aussicht haben wollen, die Fragmentierung in der Welt zu beenden. Seine These lautet, dass das Feld des Denkens begrenzt ist, dass es aber das Unbegrenzte gibt, welches das Begrenzte einschliesst. Für ihn ist die Aufmerksamkeit eine Art Brücke dazwischen. Seiner Meinung nach kann das Gehirn neben dem Denkvorgang eine andere Funktion entfalten. Es könnte gewissermassen als Antenne arbeiten, die übergeordnete Ebenen empfängt, statt nur der Initiator von Handlungen zu sein.
Chancen und Grenzen des dialogs im buddhistischen Kloster  eine Geschichte von fünf Wochen

verfasst von Cornelia Principi

   

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Interkulturelle Kommunikation ist ein Thema, das uns in jeder Begegnung mit neuen oder anderen Kulturen betrifft. Persönlich befasse ich mich seit meiner frühen Jugend mit fremden Kulturen. Zudem bin ich leidenschaftlich gerne unterwegs. In Mexiko begegnete ich vor über dreißig Jahren zum ersten Mal Menschen, die ich überhaupt nicht einordnen konnte: die Lakandon, ein indigenes Volk, das von den alten Mayas abstammen soll. Damals sprachen die meisten von ihnen noch kaum ein Wort Spanisch. Sie haben in mir das Interesse an einer Sprache geweckt, die jenseits von Linguistik liegt. Einer Sprache, die von Menschen zu Menschen gesprochen wird, nicht von Bildern zu Bildern, nicht von einer Gringa zu einer Indigena. Es war nicht nur die Sprache, die uns unterschied, es war alles anders. Ihre ganze Erscheinung, die Kleidung, die Bewegung, der Blick und ihre Scheu stellten mich vor ein unbekanntes Phänomen. Die Suche nach dem Menschen hinter der Maske von Kultur und Religion sollte mich fortan nicht mehr loslassen.

Mich packte die Auseinandersetzung in der Begegnung mit Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen genauso wie die Problematik, dass kulturelle Unterschiede zum Krieg führen können.

In der Schweiz gibt man sich zur Begrüßung die Hand, in Japan verbeugt man sich respektvoll voreinander und in Indien hält man die Hände auf Brusthöhe zusammen und neigt den Kopf. Ein Begrüßungsritual macht noch keine Kultur aus. Die Kultur, in der ein Mensch lebt, ob Nation, Freundeskreis oder Arbeitsumfeld, kann einen großen Einfluss darauf haben, welche Identität er für sich persönlich formt. Das kann wundervolle Früchte tragen. Doch unvorteilhafte Auswüchse kommen durch dieses Phänomen ebenso zustande. Das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft reicht weit zurück. Die Geschichten unserer Ahnen können Auswirkungen auf das Denken und Verhalten haben. Prägungen können uns unter Umständen gefährlich spalten und im Extremfall zum Krieg führen. Wir werden zu Anstand und bestimmten Verhaltensregeln erzogen. Die Fähigkeit, wahrhaftig über das zu sprechen, was uns wirklich bewegt, ist uns nicht in die Wiege gelegt worden. Es ist wichtig zu verstehen, dass der Charakter, der aus den Eindrücken, die man aus der Welt aufnimmt, entsteht, nicht unsere Wesensnatur ist. Die Kultur ist sozusagen die Vorratskammer, gefüllt mit Annahmen aus unserem sozialen Umfeld, die uns mit Interpretationen speist.

Es erfordert einiges an Mut, allein in einer fragmentierten Welt zu stehen, alles zu hinterfragen und jegliche Zugehörigkeit abzulehnen. Lieber verstecken wir uns hinter der Maske einer Gruppierung.

David Bohm hatte, unter anderen, diese Problematik erkannt und eine Kommunikationsmöglichkeit entwickelt, mit der kulturell oder familiär bedingte Unterschiede anerkannt und überwunden werden können. Den Dialog sieht Bohm (1998) als Mittel, die Umstände, mit denen sich die Menschen konfrontiert sehen, zu ergründen. In dieser Art von Dialog hat man die Möglichkeit zu beobachten, wie verdeckte Wertungen aus unserem Umfeld das Verhalten bestimmen und wie kulturspezifische Differenzen aufeinanderprallen, ohne dass wir normalerweise merken, was sich abspielt. Daraus folgerte Bohm die Notwendigkeit der Eigenwahrnehmung im Bereich des Denkens. Sich gewahr zu sein, wie sich das Denken in uns bewegt und daraus ein ganzes Leben schöpft. Dem individuellen und dem kollektiven Denken auf die Spur zu kommen, ist das eigentliche Ziel eines Dialogs. Den Dialog zu praktizieren, ist zwar so alt wie die Zivilisation selbst, David Bohm versuchte ihm aber seine Tiefe zurückzugeben, die im Zeitalter der Debatte und Diskussion abhandengekommen ist. Für Bohm ist der Dialog ein vielschichtiger Prozess, der über die typische Vorstellung von Gespräch und Gedankenaustausch weit hinausgeht. In seinem tiefsten Sinn ist der Dialog also eine Einladung, die Lebensfähigkeit traditioneller Definitionen dessen zu überprüfen, was es bedeutet ein Mensch zu sein, und kollektiv das Potential für eine weitere menschliche Entwicklung zu erforschen. Bohm lag das Kommunikationsproblem, von dem unser ganzes heutiges Leben betroffen ist, sehr am Herzen.

In vielen Jahren der Arbeit mit und in Gruppen habe ich diese Art von Aufmerksamkeit füreinander in der Kommunikation gesucht und habe ich folgendes Phänomen selbst erlebt: Wenn wir als Gruppe in einem Kreis zusammenkommen, entwickeln wir eine gemeinsame Energie. Während wir uns auf diese Energie konzentrieren, begegnen wir einander auf einer neuen Ebene. Als Höhepunkt erkennen wir an, Teil von etwas Größerem zu sein. Dies gibt uns Klarheit, unser eigenes Denken zu beobachten, unsere eigenen Gefühle wahrzunehmen und unsere Körpersprache zu erkennen. So schauen wir immer tiefer in uns selbst und lernen uns auf verschiedenen Ebenen kennen. Darin werden wir freier und können uns lösen von verkrusteten Vorstellungen über uns selbst, unser Heimatland, irgendeine Identität, religiöse Annahmen und andere Meinungen, die eine echte Begegnung behindern.

Einleitung

Es mag unwahrscheinlich klingen, aber den Auftrag, buddhistische Nonnen in Indien zu unterrichten, habe ich in einem Traum erhalten. Am nächsten Morgen habe ich im Internet gegoogelt und tatsächlich ein Projekt namens «science meets dharma» gefunden. Dort habe ich mich schriftlich beworben. Nie hätte ich eine Antwort erwartet, da ich weder Naturwissenschaftlerin bin noch eine werden wollte. Binnen Wochenfrist rief mich der Leiter des Projekts an und meinte, solche Träume seien ernst zu nehmen. Leider brauche seine Organisation tibetisch sprechende und vorwiegend männliche Lehrer. Er vermittelte mir aber an eine amerikanische Stiftung, die Lehrerinnen für buddhistische Klöster in Nordindien anwarben. Also wandte ich mich ein paar Wochen später an die Kontaktperson in Holland. Scheu schilderte ich meinen Auftrag aus dem Traum, den Dialog in ein buddhistisches Kloster einzuführen. Die Holländerin erkundigte sich nach der Wirksamkeit des Dialogs. Sie erzählte mir von der Situation der Nonnen, von der Geschichte des weiblichen Buddhismus und dass die Frauen in der Führung aus den zwei ethnischen Gruppen Spiti und Kinnaur nicht immer konfliktfrei seien. In meiner Antwort schilderte ich ihr meine Erfahrungen mit dem Dialog. Ich erzählte vom Prozess in die Tiefe des Bewusstseins, in dem Wertungen und Annahmen, die unser Denken und Handeln beeinflussen, aufgestöbert werden. Ein Dialog könne Verständnis füreinander wecken und einen Weg eröffnen, die Standpunkte der anderen anzuerkennen.

Umgehend bekam ich den Auftrag, den Dialog mit den Nonnen im Kloster in Bodhgaya einzuführen. So kam ich also zu diesem Projekt und während meines Aufenthalts in Indien entschied ich mich, die Diplomarbeit darüber zu schreiben.

Mit dieser Arbeit möchte ich den Prozess des Projekts, angefangen mit dem Traum mehr als ein Jahr nach der Ausbildung bis hin zum Dialog mit buddhistischen Nonnen beschreiben. Zur Vorbereitung nutzte ich die Lerninhalte und Erfahrungen aus den Dialogen in der Zürcher Gruppe. Einsichten sowohl von Martin Buber und David Bohm als auch von Jack Zimmermann und Virginia Coyle habe ich mit einbezogen und mir erlaubt, sie den jeweiligen Umständen anzupassen. Die Form, in einem Kreis zu sitzen und zu reden, ist aus nahezu allen alten Kulturen bekannt. Daher ist das Erleben eines morphogenetischen Feldes möglich, einer Art Energiefeld, das zu wirken beginnt, sobald sich Menschen zusammen in einen Kreis setzen. Die Dynamiken, die in ihren Werken beschrieben sind, decken sich mit meiner Wahrnehmung eines immer wieder aufkommenden Phänomens während einem Dialog. Einem Zauber, den man nicht beschreiben kann, den man nur für sich selbst empfinden kann.

Mein Einsatz als Dialogbegleiterin sollte fünf Wochen dauern und hatte das Ziel, die Frauen tiefer miteinander ins Gespräch über ihre Konflikte zu bringen.

Die Nonnen waren Meisterinnen des Debattierens, einer mir zu Beginn völlig unverständlichen Disziplin. Bis heute habe ich den Sinn noch nicht ganz verstanden. Ihr Bestreben gilt dem Loslassen von persönlichen Gefühlen. Der Weg, den der Buddhismus geht, ist der Weg der umfassenden Achtsamkeit und menschlichen Befreiung. Das Ziel, auf das er ausgerichtet ist, ist die Verwirklichung von tiefgründiger Einsicht und unbegrenztem Mitgefühl in Bezug auf alles Lebendige. Es geht darum, sich von weltlichen Dingen zu verabschieden, vom Zugriff der Menschen zu lösen und stattdessen auf die natürliche Abhängigkeit und Verbundenheit einzulassen, die immer und überall existiert. 

Die buddhistische Lehre und der Dialog nach Bohm reichen sich die Hand.

Kapitel 1

Die buddhistischen Nonnen

Die Geschichte der buddhistischen Nonnen in der tibetischen Tradition ist sehr lang, aber ebenso wie die Geschichte der Frauen in anderen Teilen der Welt weitgehend unbekannt. Zur tibetischen Kulturregion gehören neben Tibet selbst auch die Himalaya-Grenzregionen Kinnaur, Ladakh, Lahaul, Spiti und Zangskar sowie die tibetischen Gemeinschaften im Exil in Indien, Nepal und anderen Ländern. 

Die Mehrheit dieser Nonnen praktiziert kontemplative Praktiken einschließlich Meditation und tantrischer Ritualpraktiken der Vajrayana-Tradition. In der tantrischen Tradition wird angenommen, dass eine Person in diesem Körper, in diesem Leben erleuchtet werden kann. 

Während der gesamten buddhistischen Geschichte gab es große buddhistische Nonnen. Ihr Leben wurde im Allgemeinen von denen der Mönche überschattet. In patriarchalisch-buddhistischen Gesellschaften, in denen männliche Kinder in Familien, Schulen und Klöstern bevorzugt werden, mussten weibliche Kinder um Nahrung, Gesundheitsversorgung, Bildung und das Recht auf ein kontemplatives Leben kämpfen. Obwohl buddhistische Frauen das religiöse Leben seit jeher verfolgen, wurden sie kaum unterstützt. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich ein neues Bewusstsein für die Ungleichheiten zwischen Nonnen und Mönchen entwickelt und es werden Änderungen vorgenommen, um diese aufzulösen.

Die Jamyang Foundation unterstützt mit Bildungsprojekten indigene Mädchen und Frauen in den bedürftigen Tälern des indischen Himalayas und der Chittagong Hill in Bangladesch. Diese Projekte fördern das Lernpotential von Frauen, indem sie allgemeine Bildung für die moderne Welt mit traditioneller buddhistischer Weisheit verbinden.

Die jungen Frauen im Sanghamitra Institut stammen alle aus abgelegensten Teilen dieser Erde, aus dem Himalaya Gebirge. An diesen Orten geht es in erster Linie ums Überleben. Aufgrund starker Schneefälle ist das Leben insbesondere von Frauen im Himalaya voller Mühsal. Kommunikation mit der Aussenwelt ist die meiste Zeit des Jahres unmöglich. Wirtschaftliche Schwierigkeiten führen dazu, dass viele Männer in den Städten Arbeit suchen und Frauen die schwere Verantwortung von Familie und Feldern allein tragen. Während der intensiv kalten Wintermonate wenden sich viele dem Kunsthandwerk und der buddhistischen Praxis zu – Meditation, Lehren und Gebet. Spirituelle Praxis ist das Zentrum ihres Lebens und der Schlüssel zum Glück für ihre Familien. In der Regel wird ein Nachkomme, ob Junge oder Mädchen, in ein Kloster geschickt, um die buddhistische Tradition weiterzutragen. Dort werden die oft noch kleinen Mädchen zu Nonnen erzogen und ausgebildet.

Die Nonnen, die ich kennengelernt habe, leben in weit verstreut liegenden, abgelegenen Klöstern im Himalaya Gebirge Nordindiens. Den Winter hingegen von Ende Oktober bis Ende März verbringen sie in dem eigens für sie erbauten, im Jahr 2012 eröffneten Sanghamitra Institut in Bodhgaya im Staate Bihar.

Das Institut

Im Sanghamitra-Institut strukturieren die Nonnen ihren Tag nach strengen Regeln. Der frühe Morgen beginnt mit Puja und Gebeten. Nach dem Frühstück werden tibetische Verse auswendig gelernt und rezitiert. Danach folgt eine Stunde Debattieren. Dann ist der Unterricht der englischen Sprache eingeplant. Eine Australierin, eine Frau aus Singapur und ein Vietnamese waren während meiner Anwesenheit dafür zuständig.

Die jungen Frauen und Mädchen leben in einem geräumigen Gebäude jeweils zu fünft in einem Raum. Das Nonnenkloster erinnerte mich an ein Mädcheninternat. Durch die geschorenen Köpfe und die roten Roben unterschieden sie sich optisch von gewöhnlichen Mädchen. Auch die Lebensentwürfe der jungen Frauen gestalteten sich anders. Erstaunlicherweise waren sich alle sicher, mit dem Ablegen eines Gelübdes in so jungen Jahren die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Selten kommt es vor, dass sich jemand verliebt und den Weg einer Familienfrau gehen will.

Viele Nonnen wünschen sich, später ähnliche Studienprogramme für andere zu schaffen, sowohl in ihren Heimatländern als auch in anderen bedürftigen Gebieten. Bildung und Kommunikation mit anderen Kulturen verändert die Wahrnehmung der Frauen im Himalaya. Beides trägt dazu bei, die buddhistische Kultur in Gebieten zu bewahren, in denen sie aufgrund von kulturellen Eingriffen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten gefährlich abnimmt. Die Studentinnen unterschiedlicher ethnischer Herkunft entwickeln einen starken Sinn für das Gefühl, gemeinsam auf einem Weg zu sein. 

Es ist früh am Morgen, und die Kälte ist in allen Gliedern. In der ersten Nacht hatte ich das Gefühl, ich würde sterben, weil es so kalt und das Bett so hart war. Die feuchte Luft drang in meine Gelenke ein. Es ist wichtig, mit dem Wasser vorsichtig umzugehen. Die Hygienestandards sind auf einem niedrigen Niveau. Wie wichtig doch die Grundpflege ist und wie selbstverständlich sie für uns ist! Zum Glück kann ich gut damit leben, wenn eine warme Dusche nur eine angenehme Erinnerung an vergangene Tage ist.

Kapitel 2

Woche eins

Hilfe und Hindernisse bei der Einführung in den Dialog

Neben dem reibungslosen und erstaunlich freudvollen Ablauf des Alltags ergaben sich doch ein paar Ungereimtheiten. Nicht immer gelang es den älteren Nonnen, die „disciplin nuns“ genannt werden, sich durchzusetzen. Hygienevorschriften, Essensgewohnheiten, Schweigezeiten beim Essen und andere strenge Verhaltensweisen erreichten oft nicht den hohen Maßstab einer Ordnung, die einem Kloster gebührt. Zudem gingen die Meinungen bei alltäglichen Fragen, ob die kleinen Mädchen an den Meditationen teilnehmen sollen oder ob sie an ihrem freien Tag in den nahegelegenen Ort dürfen, auseinander. Es handelte sich um Kleinigkeiten, die in einem Haus mit fünfzig Frauen im Alter von fünf bis dreiunddreissig Jahren doch ins Gewicht fallen. Die älteren Nonnen mussten neben der Gewährleistung eines reibungslosen Ablaufs des klösterlichen Lebens noch die Rolle einer guten Mutter erfüllen.

Die Mädchen und jungen Frauen kennen keine sozialen Medien, sie sind weder auf Instagram noch auf Facebook zu finden. Ihre Augen sind nicht dauernd auf ein Display gerichtet und ihre Finger tippen noch nicht auf den digitalen Tastaturen eines Handys herum. Sie kichern nicht hinter dem anderen Geschlecht her und stehen nicht stundenlang verzweifelt vor dem Spiegel aus Angst, sie seien zu dick. Essstörungen wie Anorexie kennen sie nicht. Bei einigen war der Hunger in ihrer Kindheit real. Prominente wie Michael Jackson und Rihanna sagen ihnen nichts.

Eine Person kennen sie allerdings alle; sie ist neben den Eltern die Wichtigste in ihrem Leben – der Dalai-Lama. Seine Heiligkeit gibt ihrem Leben Ausrichtung. Er ist ihnen Vorbild, weil er Warmherzigkeit, Mitgefühl und Vergebung vorlebt.

«Die Zukunft jedes Einzelnen ist von anderen abhängig. Die Technologie hat uns wie eine Familie zusammengeführt. Wir sehen uns immer noch in Begriffen wie ‚wir’ und ‚sie’, obwohl alle zur menschlichen Gemeinschaft gehören. Es liegt in unserer Verantwortung von Menschen verursachte Probleme, wie den Krieg zu beseitigen. Obwohl wir uns im 21. Jahrhundert befinden, in einer Ära beispielloser Kommunikation, scheinen wir immer noch der Meinung zu sein, dass Anwendung von Gewalt zur Lösung unserer Probleme führt. Das ist ein Fehler. Probleme müssen durch den Dialog angegangen werden, indem wir einander zuhören und einen gewaltfreien Ansatz verfolgen.» (Dalai-Lama, Januar 2020)

Diese Worte hatte der Dalai-Lama am Tag, bevor ich die erste Lektion im Sanghamitra Institut hatte, an die Nonnen gerichtet. Seine Worte erleichterten mir die Einführung in den Dialog, den die Nonnen in diesem Sinne noch nicht kannten. Seine Worte sind Gesetz und was der Dalai-Lama sagt, ist wahr. So wurden sie neugierig und wollten sich darauf einlassen.

Eine Hürde, die wir mit dem Unterfangen Dialog zu überwinden hatten, war die Sprache. Bevor wir mit dem Kern unserer Absicht beginnen konnten, mussten wir uns verständigen können. Die meisten Schülerinnen verfügten über ein spärliches Vokabular in der englischen Sprache und ich verstand weder Hindi noch Tibetisch. So begannen wir unsere Reise mit dem Entdecken der Gefühle, indem wir sie ins Englische übersetzten.

Am ersten Tag schenkte ich allen einen goldfarbenen Kugelschreiber und ein Heft, in das sie Arbeitsblätter einkleben und wichtige Schritte unseres Prozesses festhalten sollten. Abgesehen von ihrer Robe und ein wenig Wäsche haben die Nonnen kaum eigenen Besitz.

An dieser Stelle muss ich noch die niedrigen Temperaturen erwähnen, die für mich zumindest zu Beginn erschwerend auf unser Zusammensein wirkten. Bodhgaya erlebte die kältesten Tage seit Jahren und niemand war darauf vorbereitet. Die Nonnen konnten sich problemlos der Kälte hingeben. Unbekümmert rückten sie in den Kreis in meinem Zimmer auf dem Boden nah zusammen und waren neugierig, was jetzt kam.

Einfache Wortspiele füllten die ersten Stunden. Erkennen, benennen und verstehen von Gefühlen, indem sie Fragen nach ihren Vorlieben und Abneigungen beantworten mussten. Sprachschwierigkeiten gepaart mit Schüchternheit bewirkten, dass wir oft stumm dasaßen und kicherten.

Die Patronin des Klosters, Gründerin des Instituts, Amerikanerin und buddhistische Nonne Karma Lekshe Tsomo war erst skeptisch, als ich ihr von meiner Absicht, mit den Nonnen über ihre Gefühle zu sprechen, erzählte. Es erschien ihr genauso egoistisch wie der Psychorummel, der weltweit grassiere. Es war nicht leicht, ihrem hohen Anspruch von Selbstlosigkeit gerecht zu werden.

Wieder erklingen die Klänge des Rezitierens endloser Dharmatexte über das Gelände. Die Nonnen sind schon lange wach und ihre Stimmen verzaubern den Morgen, der immer noch von einem Dunstschleier verhüllt ist. In den ersten Tagen meines Aufenthalts in Bodhgaya war die Sonne ein seltener Gast, wenn sie überhaupt auftauchte. Nirgendwo in den Räumen des Gebäudes, das ideal für heiße Tage gebaut wurde, wurde es warm genug, um sich auf den Unterricht konzentrieren zu können. Aber den Nonnen schien es nichts auszumachen. Ihr „Good morning, Ma’m“ klang so unbeschwert und freundlich, dass mein Selbstmitleid trotz der Kälte in ihrer Herzenswärme schmolz. Es ist schwer in Worte zu fassen, wie die Wesen der jungen Frauen mich vom ersten Moment an tief berührten.

Woche zwei

Gefühle

Die Versammlungen um den Dalai-Lama in Bodhgaya gingen zu Ende. Die Nonnen waren frisch motiviert, den Dialog zu erproben und konzentrierten sich auf die Lerninhalte. Fleissig notierten sie, was ich ihnen auftrug, und gaben sich Mühe, richtige Sätze in Englisch auszusprechen.

In dieser Woche wurden sie eingeladen, von sich zu erzählen und dabei auf ihre Empfindungen zu achten. Der „talking stick“ wurde von Person zu Person im Uhrzeigersinn weitergegeben, bis jede Einzelne gesprochen hatte. Ich leitete sie an, einfach zur Kenntnis zu nehmen, was sie wahrnahmen.

Mit Hilfe des Eisbergmodells veranschaulichten wir oberflächliche und tieferliegende Gefühle. Sonst gab ich keine theoretischen Inputs. Gemeinsam durchwanderten wir Täler und Hügel der Gefühlswelt. Hineinspüren, entdecken und herausfinden dürfen. Wie fühlt sich Wut an? Was ist Enttäuschung und wie reagiere ich, wenn ich verletzt bin? Wir benutzten das Bild der Muschel, in deren Gehäuse wir tiefer und tiefer eindrangen. Behutsam lauschten wir in den Raum und scheu nahmen wir wahr, wie verletzlich wir alle sind.

Allmählich gelang es den Teilnehmerinnen zu beobachten, was sich in ihrem Inneren bewegte. Durch ihre tägliche Meditationspraxis waren sie geübt, still zu sitzen und ihren Gedanken zu folgen. Die Energie im Kreis begann ungehindert zu fliessen und zeitweilig wurde es so still, dass wir fast die Gedanken voneinander hören konnten. Es flossen Tränen ohne Worte. Ein Gespräch kann auch aus einem mitteilenden Schweigen bestehen. Oder im Schweigen kann man verstehen lernen.

«Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Fantasie; und das Gedächtnis selbst verwandelt sich, da es aus der Vereinzelung in die Ganzheit stürzt. Zwischen Ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme; und die Sehnsucht selbst verwandelt sich, da sie aus dem Traum in die Erscheinung stürzt.» (Buber 2009, S. 17)

Woche drei

circle talk

Nach zwei Wochen des Kennenlernens musste ich einsehen, dass der Dialog nach Bohm zu anspruchsvoll für die jungen Frauen war. Stillsitzen und die Gedanken beobachten gelang ihnen mühelos. Ein meines Erachtens weiterer wichtiger Faktor im Bohm’schen Dialog, „das Suspendieren von eigenen Annahmen“, war ihnen aber zu abstrakt. Sie verstanden nicht, was ich damit meinte. Vermutlich war die Aussicht, möglicherweise ihren Glauben in Frage stellen zu müssen, beängstigend. In ihrem Verständnis ist die buddhistische Lehre nicht eine Betrachtungsweise, die man an eine Leine hängen kann, sondern sie ist ihr Leben. Sie waren zu jung, um das abstrahieren zu können. So brachen wir den Dialog, wie es in meiner Vorstellung nach Bohm sein müsste, in ein Gespräch im Kreis hinunter und nannten es für unseren Zweck „circle talk“. Die Begriffsfindung war naheliegend, denn wir sassen die ganze Zeit im Kreis und redeten.

Was ist mit „circle talk“ gemeint?

Genau wie der Dialog zeichnen sich „circle talks“ durch die Verwendung eines „talking sticks“ aus, der die Kommunikation regulieren soll. Sowohl das Sprechen als auch Zuhören ist im Kreis wichtig, weil gegenseitiges Verständnis die Grundlage für tiefe und wesentliche Gespräche ist. Der grundlegende Zweck eines „circle talk“ ist, einen sicheren, nicht wertenden Ort zu schaffen, an dem jede Teilnehmerin die Möglichkeit hatte, zur Erörterung schwieriger und wichtiger Fragen beizutragen. Die Absicht, einen sicheren Ort zu bieten für nährende Gespräche, beinhaltete auch die Offenheit, sich einem Prozess hinzugeben, ohne ein bestimmtes Ergebnis zu erwarten. Das war anspruchsvoll genug.

Wir beschlossen, die Gruppen zu verkleinern. Jeden Morgen um 10:00 Uhr und jeden Nachmittag um 15:00 Uhr versammelte sich je ein Viertel der älteren Nonnen in einem Kreis zu sechst. Die Frauen waren von dieser Form sehr angetan und bemühten sich, pünktlich zu erscheinen und sich still in den Kreis zu setzen.

Der Kreis diente uns fortan als Treffpunkt, an dem wir einander zuhören und über unsere Gefühle sprechen konnten. Die Mitte unseres Kreises, geschmückt mit Blumen und einer Buddha-Figur, war das Gefäß, der Container. Sobald ich ihnen die Bedeutung des „talking sticks“ und anderen Dynamiken, die im folgenden Abschnitt beschrieben werden, erklärt hatte, wurde der Prozess durch eine einfache Eröffnungszeremonie markiert. Von diesem Moment an durften nur diejenigen sprechen, die den „talking stick“ hielten. Die anderen wurden eingeladen, sich ganz auf diese Person zu konzentrieren.

Langsam begannen die Nonnen, Geschichten zu erzählen. Eine junge Frau teilte mit uns ihren Schmerz, den Vater an eine andere Frau verloren zu haben. Er hatte der Mutter die schwere Arbeit mit den jüngeren Geschwistern, den Tieren und dem kargen Feld überlassen. Sie lebten in tiefer Armut und das Mädchen litt an ihrem schlechten Gewissen, weil sie es im Kloster guthatte. Die Anteilnahme ihrer Freundinnen im Kreis und die Vergewisserung, dass sie nicht die Verantwortung für die Entscheidung ihres Vaters trug, halfen dem Mädchen. Zuvor hatte sie niemandem davon erzählt.

In das Heft hatten wir folgende fünf Prinzipien als wichtigste Punkte eingetragen und uns bei jedem Zusammentreffen vergegenwärtigt.

Sprich aus dem Herzen 

Die erste Absicht war, „aus dem Herzen zu sprechen“.

Das bedeutete, nicht nur aus dem Kopf und seinen Ideen, sondern auch aus seinen Gefühlen zu sprechen. Es bedeutete, seine eigene Geschichte so ehrlich zu erzählen, wie man es vermochte, sich im Moment in dieser Gruppe darauf einzulassen. Wir alle haben unzählige bedeutungsvolle Erfahrungen gemacht im Leben. Wenn wir über sie wahrheitsgemäß sprechen, sprechen wir aus dem Herzen. 

Mit dem Herzen hören

Die zweite Absicht war, „mit dem Herzen zu hören“, wenn eine andere Person den „talking stick“ hatte. Das bedeutete, dass man ohne Beurteilung zuhörte, auch wenn man mit dem, was die Person sagte, nicht einverstanden war. Höre nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen zu! Der Erfolg unserer „circle talks“ wurde weitgehend von der Qualität des Zuhörens der Teilnehmerinnen bestimmt.

Sei spontan

Als dritten Punkt nahmen wir uns vor, „spontan zu sprechen“. Das bedeutete zu warten, bis wir an der Reihe waren, bevor wir entschieden, was wir sagen wollten. Wenn wir darüber nachdenken, was wir sagen wollen, dann hören wir der Person, die spricht, nicht vollständig zu. Wenn wir nicht im Voraus planen, was wir sagen werden, werden wir oft überrascht sein, was aus uns hervorkommt, wenn wir an der Reihe sind.

Die Nonnen hatten keine Mühe aus ihren Herzen zu sprechen, solange es um die anderen ging. Leicht fanden sie Worte, um ihre Zuneigung auszudrücken und es war einfach, vorbehaltlos zuzuhören. Doch ihre intuitive Stimme sprechen zu lassen, frei von der Leber weg, löste ungewohnte Gefühle in ihnen aus. Es lag etwas Verbotenes darin, eigene Bedürfnisse oder gar Meinungen auszusprechen.

Themen, die wir zur Bildung von „circle talks“ verwendeten, sollten für die gesamte Gruppe von Interesse sein. Wenn das Thema beispielsweise „Spaß machte“, war das eine gute Eingabe. Ich forderte die Nonnen auf, sich eine Zeit ins Gedächtnis zu rufen, in der sie dachten: «Wow, das macht wirklich Spaß!» Dann fügte ich hinzu: «Warte auf den ‚talking stick’ und erkenne dann, welche Geschichte dir einfällt.» Ich ermutigte sie zu experimentieren, den Stock für eine kurze Weile still zu halten und die Anwesenheit ihrer Freundinnen und den Moment das hervorrufen zu lassen, was gesagt werden musste.

Wir lachten viel. Es kursierten lustige Geschichten, manchmal peinliche und dann wieder sehr berührende. In dieser Woche lockerte sich die Grundstimmung und die Nonnen fühlten sich wohl im Kreis. Sie trauten sich mehr und wurden freier in ihrem Ausdruck.

In dieser Woche hatten die Nonnen verstanden, dass der „circle talk“ eine moderne Praxis ist, deren Wurzeln tief in uralten Kulturen liegt. Sie machten die Erfahrung, dass jede Stimme einen Wert hatte, dass jede Person eine Gabe hatte, eine Geschichte, die es zu teilen galt, wenn sie noch so dürftig war.

Die Zeit war noch nicht reif, Konflikte anzusprechen. Neues zu entdecken voneinander und unsere Vielfalt zu ehren und erst noch Platz für völlig überzuckerten Kuchen und Tee zu haben – darum ging es.

Woche vier

Wirkungen

Die Anwendung des „circle talks“ zeigte seine Wirkung. Er weichte zum Teil die Bindung an lang gehaltene Positionen auf. Für die jüngeren Nonnen war dies eine erfreuliche Erfahrung, weil sie in Gegenwart einer Autorität normalerweise gehemmt in ihrem Ausdruck waren.

Für die Leiterin Tenzin Dechen war es erlösend, darauf vertrauen zu können, dass sie nichts falsch machen konnte. Den Schmerz der Einsamkeit und der Widerwille, den ihre Führungsposition manchmal mit sich brachte, den Schülerinnen zuzumuten, erforderte mehr Stärke von ihr, als mit ihrer Verzweiflung allein zu bleiben. Es entpuppte sich als Segen, so ehrlich sein zu können. War es doch der Ursprung einiger Unstimmigkeiten, mit denen die vier „elder nuns“ zu kämpfen hatten. Eigentlich fühlte sich keine der Frauen der Verantwortung gewachsen und sie lebten in der ständigen Angst, den Anforderungen der Stiftung, die sie unterstützte, nicht gerecht zu werden. Der Kreis wurde Tag für Tag mehr ein Ort, an dem sie ihre Ängste aussprechen konnten. Nicht zuletzt fanden sie in mir als Begleiterin eine Person, die ihre Nöte durchaus verstand.

Es ist wichtig hervorzuheben, dass der „circle talk“ geboren wurde, um dem Entwicklungsstand gerecht zu werden und die Ausdrucksform der jungen Frauen zu unterstützen. Das Ziel bestand darin, innerhalb der Gruppe eine Atmosphäre zu schaffen, die frei von jeder Art von Beurteilung war, in der die Teilnehmerinnen so sein durften, wie es ihnen entsprach, was die Möglichkeit einschloss, in Schweigen zu verharren und sich dafür zu entscheiden, nichts zu teilen.

Buber (2009, S. 296) weist darauf hin, «dass schweigsam bleibende ... mitunter besonders wichtig werden können.» Er beschreibt den Dialog als Zwiegespräch von Menschen, die sich einander in Wahrheit zugewandt haben, sich rückhaltlos äußern und vom „Scheinen-Wollen“ frei sind.

«Das eigentliche, wirkliche Leben findet in der Beziehung statt: Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. Die Einsammlung und Verschmelzung zum ganzen Wesen können nie durch mich, kann nie ohne mich geschehen. Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.» (Buber, 2009, S. 17)

Einfach ausgedrückt heißt das: Es gibt kein Ich ohne ein Du und es gibt kein Du ohne ein Ich. Aus dieser Pointierung lässt sich ableiten, dass sich der Fokus der Beziehung gegenüber anderen Konzepten weg vom einzelnen Individuum hin zum erwähnten gemeinsamen bewegt. Während der „circle talks“ wurde ich quasi zur buddhistischen Nonne und die jungen Frauen bekamen meine Prägungen ab. Diese Feststellung machte deutlich, dass im „circle talk“ das Gewicht auf mehreren anderen Elementen liegt als nur dem der Sprache.

Ein wichtiges Element für ein echtes Gespräch ist die wesenhafte Hinwendung.

Für Buber ist es der echte Dialog, in dem jeder Teilnehmer den oder die anderen in ihrem Dasein und Sosein wirklich meint und sich ihnen in der Intention zuwendet, dass sich lebendige Gegenseitigkeit stiftet zwischen ihm und ihnen. Buber sieht die Existenz des Menschen in der Beziehung. Dabei unterscheidet er zwei voneinander grundsätzlich verschiedene: die Ich-Es- und die Ich-Du-Beziehung. Die Ich-Es-Beziehung ist die normale, alltägliche Beziehung des Menschen zu den Dingen, die ihn umgeben. Der Mensch kann auch seinen Mitmenschen wie ein Es betrachten und behandeln – und das tut er meistens. Er sieht ihn distanziert, kühl und nimmt ihn wie eine Sache, ein Stück Umwelt wahr. Eine Ich-Du-Beziehung geht der Mensch mit seinem innersten und gesamten Wesen ein. In einem echten Gespräch tun das beide Partner. Das Charakteristische an Ich-Du-Beziehungen ist, dass in ihnen nur die wirkliche Begegnung geschieht, wenn alles zurückgelassen wird, was an Vorverständnis mitgebracht wird, wenn alle Reserviertheit aufgegeben wird, wenn man sich auf den anderen einlässt und einen wirklichen Dialog mit ihm führt. 

Entscheidend bei der Hinwendung zum Gegenüber ist, dass sie in aller Wahrheit geschieht, als Hinwendung des Wesens also, was ein Ja zum Menschen bedeutet, jedoch nicht automatisch das Einverstanden sein mit allem, was dieser glaubt.

Auf meine Frage, warum sie sich entschieden hatten, ein Leben als Nonne zu führen, antworteten einige, weil sie sich von klein auf dazu berufen fühlten. Eine Frau hatte sich vor die Wahl gestellt gesehen, entweder ein Leben als Dienerin eines Mannes oder als Dienerin Buddhas zu führen. Für eine Teilnehmerin galt es als Pflicht, die Familientradition weiterzuführen. Für die meisten war es die einzige Aussicht auf Bildung. Sie wollten später Lehrerinnen werden und das, was sie hier bekommen, weitergeben. Allen war es ein Anliegen, später einmal in der Lage zu sein, Bedürftigen zu helfen.

Ein „circle talk“ kann innerhalb der Hierarchie einer Ordensgemeinschaft nur funktionieren, wenn die Person, die „die Verantwortung trägt“, seinen Einsatz unterstützt und ihm zustimmt.

Die älteste indische Nonne, die 33-jährige Tenzin Dechen, hatte Karma Lekshe Tsomo, die Skeptikerin, wissen lassen, sie sei nun seit zwanzig Jahren Nonne und habe viele Lehrer kennengelernt auf ihrem Weg, doch noch nie sei jemand gekommen, der sie angeleitet hätte, aus dem Herzen zu sprechen. Venerable Lekshe erkannte schließlich im „circle talk“ ein Feld, um die Fähigkeit zu verbessern, sich kurz zu fassen und Worte zu finden, die die Geschichten und Aussagen der jüngeren Nonnen bekräftigten.

Die älteren Nonnen wollten mit der Dialogmethode lernen, miteinander zu sprechen. Die Frauen aus Kinnaur sind offensichtlich mehr daran gewöhnt, sich in Englisch auszudrücken als die Frauen aus Spiti. Aber es stellte sich bald heraus, dass dies eher ein Vorteil war, denn so ungewohnt es für sie war, über sich selbst zu sprechen, so schüchtern waren sie bis zu einem gewissen Grad. Obwohl sie sich in den täglichen Debatten sogar gegenseitig anbrüllten, war es für sie neu, einfach über ihre eigenen Gefühle zu sprechen. Während der fünf Wochen, die ich dort war, entwickelten sich langsam und behutsam tiefe und berührende Gespräche über ihre Visionen und Träume in einem Leben als Nonne. Sie sprachen über sich selbst und ihre Familien, die sie sehr lieben, und teilten ihre Freundschaften mit mir. Es war ein Austausch unter Freunden, ein Geben und Nehmen von Geschenken.

Fasse dich kurz

Die vierte Komponente war, „sich knapp auszudrücken“. Es ging darum, sich sowohl bewusst zu sein über den begrenzten Sprechraum als auch über den Raum für den Ausdruck der anderen. Nur die Worte zu verwenden, die notwendig waren, um ihre Geschichte zu vermitteln, war eine zusätzliche Herausforderung. Ich unterbrach sie nicht gern, auch wenn jemand dabei war auszuufern. Es freute mich zu sehen, dass ein Ventil weg war und mit Druck lange zurückgehaltene Worte hinausströmten.

Tenzin Dechen hatte mit ihrem fließenden Englisch ihre Chance gepackt. Sie liebte es, Nonne zu sein und dieses Leben zu führen. Alle im Haus seien ihre Freundinnen. Doch sei es ihr manchmal zu viel der Bürde. Ihr fehlten Gespräche solcher Art und sie habe sich diese lange Zeit gewünscht. Sie sei sicher, dass sie mich gerufen habe, und sei froh, dass ich nun hier sei und wir zusammensitzen konnten, um endlich zu reden (in der Zwischenzeit hatte ich von meinem Traum erzählt). Wir beide dachten an Magie und mussten schmunzeln. Sie hätte gar nicht gewusst, dass es wirklich so etwas gebe. Das Zusammenleben nach den Ordensregeln zu organisieren, sei für sie in Ordnung. Manchmal wisse sie nicht, ob es so richtig sei, ob sie auf dem richtigen Weg seien. In der Anwesenheit von Venerable Lekshe fühle sie sich inkompetent und unbeholfen. In solchen Momenten frage sie sich, wie sie in diese Rolle geschlüpft sei. Sie wolle es doch nur gut machen. Sie fühle sich aber sehr allein gelassen. Sie konnte reden und reden. Es tat der Gruppe gut, ihrer Autorität mit dem Herzen zuzuhören. Als sie den Stab in die Mitte zurücklegte, herrschte eine beklemmende Ruhe. Die lange Stille und die Energie im Kreis schienen ihre Rede aufzufangen und in der Schwebe zu halten. Es war etwas ausgesprochen, etwas, das lange Zeit unter ihnen geschmort hatte. Die jüngeren Schwestern hatten ihr diese Gefühle der Unsicherheit nie angemerkt. Nun waren sie an der Reihe. Niemand wurde genötigt, zu sprechen. Einigen fiel es schwer sich in Englisch auszudrücken. Sie redeten in ihrer Ursprungssprache. Die Worte verstand ich nicht, doch das Wohlwollen und die Unterstützung, die ich nun von allen Seiten wahrnahm, berührten mich tief. Eine Leichtigkeit floss durch den Kreis und verwandelte die Bedrücktheit in ein heiteres Zusammensein.

«Echt kann das Gespräch ebenfalls nur sein, wenn die am Gespräch Beteiligten auf Rechthaberei verzichten. Das echte Gespräch ist also ein Prozess, in dessen Verlauf Bedeutendes zu Tage treten kann.» (Buber, 2009, S. 293)

Um des Vertrauens und des Respekts Willen war die Vertraulichkeit die fünfte Komponente. Was innerhalb des Kreises gesagt wurde, blieb innerhalb des Kreises.

Neben der wesenhaften Hinwendung und der rückhaltlosen Beteiligung am Gespräch soll auch Abstand vom Scheinen-Wollen genommen werden. Wer im echten Gespräch mehr Wert auf die eigene Wirkung legt, zerstört es eher.

Für die Nonnen war dies ein völlig neuer Aspekt. Ihr Bestreben galt vor allem dem, eine gute Nonne zu sein. Es war fast unmöglich, dieses Bild in Frage zu stellen. Zu Beginn hatte ich großen Respekt davor, weil ich befürchtete, die Glaubensrichtung der Nonnen zu beeinflussen und dadurch mehr Unruhe als Ordnung zu stiften. Dies war jedoch keineswegs der Fall, da die Nonnen es gewohnt waren, in ihren Debatten bestimmte Aussagen auf einen tieferen Wahrheitsgehalt herunterzubrechen. Sie wollten jene Faktoren, die zu Unstimmigkeiten unter ihnen führten, ergründen und verstehen.

Grundlegend geht es in der von Buber entworfenen dialogischen Haltung darum, im Gegenüber einen Ebenbürtigen zu sehen, der die Beziehung und somit das Wahrnehmen des eigenen Subjekts – des Ichs – erst ermöglicht.

Die Nonnen begannen zu verstehen, dass das Wesen menschlicher Kommunikation nur zum Teil Informationsvermittlung ist. Es geht immer auch darum, Beziehung und Bedeutung zum Ausdruck zu bringen. Jedes Gruppenmitglied stellt mit seiner Aussage etwas dar und will etwas bewirken. 

Somit konnten sie den „circle talk“ als einen Ort betrachten, an dem Magie, Gemeinschaftsgefühl und Beziehung entstehen können. In diesem Sinne löste sich meine distanzierte Rolle der kundigen Lehrerin auf einer gewissen Ebene mehr und mehr in Luft auf. Es entsprach nicht einem Gespräch auf Augenhöhe, aber folgendes Erlebnis wurde möglich. 

In einem wesentlichen Teil unserer Gespräche muteten wir einander unser Unbehagen über den Zustand der Welt zu. In Bodhgaya ist die unvorstellbare Armut an jeder Ecke so sichtbar, dass es kaum Vergnügen bereitet, einfach durch die Straßen zu schlendern und einzukaufen. Bei jeder Rupie, die ich für mich selbst ausgab, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Andererseits wurde ich von den Bettlern verfolgt, wenn ich einem etwas geschenkt hatte. Es war kaum auszuhalten. Zeitweilig fürchtete ich, in eine tiefe Depression zu geraten auf Grund der Ohnmacht, nichts tun zu können.

Als ich es in der Gruppe aussprach und darüber weinte, fühlte ich, dass sich die jungen Frauen durchaus des Elends außerhalb der Klostermauern bewusst waren. Die gemeinsame Betroffenheit trug den Schmerz weit hinaus über das kleine Ego und hatte Konsequenzen, die jenseits meiner Vorstellungen von Recht und Unrecht lagen. Ich lernte, den Schmerz anzuerkennen, indem ich darüber sprach. Darin wandelte er sich zu tiefem Mitgefühl mit allem, was wir nicht verstehen und meinen, nicht ertragen zu können.

Diese Einsicht ermöglichte mir, mich für ein größeres Verständnis des „circle talks“ zu öffnen. Der Kern dieser Erkenntnis lag darin, die Welt in einem größeren Kontext wahrzunehmen. Unsere Stellung in der Welt verändert sich grundlegend, wenn wir sie als ein lebendiges System verstehen und uns selbst als einen Teil eines im weitesten Sinne lebendigen Erdkörpers definieren. Diese Einstellung mag – angesichts der herrschenden Probleme in der Welt – visionär und verträumt wirken, mag aber auch eine Folge von interkulturellem Dialog sein.

Die Atmosphäre in den Wänden des Gebäudes vertrieb die Kälte und andere Unannehmlichkeiten, die mich während der ersten Tage meines Aufenthalts blockiert hatten. Als die Sonne die steif gefrorene Stadt wieder zu erwärmen begann, klangen die Stimmen der Nonnen im Garten zusammen mit dem Gezwitscher der Vögel wie Musik. Das Kloster ist ein kleines Paradies am Ufer des ausgetrockneten Flusses. Es bedeutete Erholung nach Ausflügen in die Stadt, die von bitterer Armut und Schmutz geprägt war. Die Nonnen sind leuchtende Perlen im Dunst Indiens.

Woche fünf

Der große Kreis

Die vergangenen Wochen dienten der Vorbereitung des Höhepunkts unseres gemeinsamen Weges. Wir versammelten uns endlich im grossen Kreis. Die vier Gruppen, die bislang getrennt Vorbereitungen getroffen hatten und nun wussten, worum es ging, kamen in der letzten Woche meines Aufenthaltes viermal in dieser Formation für eine gute Stunde zusammen.

Die erste Runde begannen wir mit dem theoretischen Zusammenfassen des Gelernten. Die Nonnen benutzten folgende Worte in ihrem gebrochenen Englisch:

Um einen „circle talk“ einzuberufen, muss jemand ein Thema oder eine Mission haben. Diese Person ist die Hüterin des Kreises. Sie soll sich um eine Struktur kümmern und eine Einladung aussprechen. Nachdem sich die Personen in die vorgegebene Struktur auf einem Teppich um ein angenehm gestaltetes Zentrum herum eingelassen haben, wird die Gruppe begrüßt. Danach werden Vereinbarungen getroffen und es erfolgt eine Check-in-Runde. Wichtig ist, aus dem Herzen zu sprechen und mit dem Herzen zu hören. Man soll dann sprechen, wenn man an der Reihe ist, und lange Reden soll man vermeiden.

Ich schlug nach dieser Einführung vor, zur Einstimmung einen tibetischen Text zu chanten. Das entsprach ihren Gewohnheiten, weil sie das vor jedem Essen und vor jeder Zusammenkunft taten. Es war jedes Mal sehr berührend.

Der Mittelpunkt unseres Kreises war geschmückt mit Blumen und Buddha-Figuren in jede Himmelsrichtung. Da alle Energien durch die Mitte hindurchgehen, hielt ich die Figuren für geeignet, weil Buddha die Kultur ehrte und symbolisch die Absicht der Gruppe repräsentierte.

Das Chanten ließ die Energie fließen und versetzte uns in die richtige Stimmung.

Weil es ein neuer Kreis war, begann ich mit meinem Namen und einer kurzen Absichtserklärung. Die Nonnen taten es mir gleich, drückten ihre Freude aus und sprachen über ihre Hoffnungen für das Treffen. Wenn eine Person nicht bereit war zu sprechen, wurde ihr zum Schluss eine weitere Gelegenheit angeboten. Das Check-in half den Frauen, sich auf den Dialog einzustellen und erinnerte alle an ihr Engagement für die geäußerte Absicht. Dies stellte sicher, dass sie sowohl im Geist als auch im Körper wirklich präsent waren. In der Check-in-Runde bat ich die Teilnehmerinnen, darauf zu achten, ob sich schon ein Thema herausschälen wollte.

Dann war Stille. Für alle war es ungewohnt, in einem so großen Kreis zu sitzen. Die vier „disciplin nuns“ waren anwesend, was es nicht einfacher machte. Ich hatte noch einmal erklärt, dass ich nur als Begleiterin hier sei. Meine Kollegin aus Australien, die unbedingt teilnehmen wollte, durchbrach schließlich die besonnene Zurückhaltung mit einer Frage.

In wessen Verantwortung liegt das Wohlergehen dieses Klosters?

Immer noch herrschte beklemmende Stille und ich fürchtete, dem peinlichen Zusammensein ein baldiges Ende bereiten zu müssen, doch dann sprach Tenzin Dechen. Ihrer erfrischenden Ehrlichkeit war es zu danken, dass dieses Gespräch zu der gewünschten Aussprache unter den Nonnen führte, auf die wir die ganze Zeit hingearbeitet hatten. Ich kann mich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, doch die Stimmung, die sie in die Runde brachte, bereitet mir heute noch Gänsehaut. Für ihre jungen Jahre sprach sie mit einer bemerkenswerten Klarheit und Herzlichkeit über ihre Aufgabe in diesem Kloster und von der Verantwortung, die sie nun bereit sei zu tragen. Mit ihrem Statement hatte sie einen Stein gesetzt, dem sich die vier „disciplin nuns“ nur noch ergeben konnten. Tenzin Dechen hatte die Verantwortung für alle Konflikte zu sich genommen und sich entschuldigt, keine bessere Leiterin zu sein. Dies hatte den Stein ins Rollen gebracht. Danach folgte ein Eingeständnis auf das andere. Auch hier verstand ich sprachlich nicht alles, da vieles in ihrem ethnischen Dialekt gesagt wurde.

Durch die Eingeständnisse wurde ein ernsthafter Raum geschaffen, der allen Mitgliedern einen freien und tiefgreifenden Austausch ermöglichte, eine Vielfalt von Ansichten respektierte und die Verantwortung für das Wohlergehen der Gruppe mittrug. Ein vielversprechender Anfang für zukünftige „circle talks“ im Sanghamitra Institut.

Die „elder nuns“ willigten nämlich ein, den „circle talk“ fest in ihren Alltag zu integrieren.

Es war wichtig, jeder Person noch ein paar Minuten Zeit zu geben, um zu kommentieren, was sie gelernt hatte oder was in ihrem Herzen und ihrem Geist bleiben sollte, wenn sie den Kreis verließ.   

Der Check-out und die Verabschiedung zogen sich diesmal in die Länge. Die Wirkung dieser Runde war reinigend und die Stimmung wohlwollend, man hätte noch lange darin verweilen können.

Selbst während ich diese Zeilen schreibe, Monate nach meiner Abreise, ist mein Herz noch bewegt. Ich vermisse sie.

Kapitel 3

Schlussfolgerung

Die Absicht des „circle talks“ bestand darin, durch den Austausch im Kreis eine neue Verbindung unter den Nonnen aufzubauen, eine Verbindung, die auf wirklichem Einfühlungsvermögen durch Zuhören basierte. Die neugewonnene Erkenntnis, dass auch Autoritäten nicht einfach Bescheid wissen, sondern auf gemeinsames Voranschreiten angewiesen sind, sollte alle ermutigen, sich einzubringen und mitzudenken.

Der „circle talk“ steht ihnen nun als Mittel für bewusste Kommunikation, Reflexion und Entscheidungsfindung zur Verfügung. Die Möglichkeit, den Kreis zur Erforschung von Konflikten einzuberufen, stellt sie vor neue Herausforderungen. Die Frauen haben gelernt, einen Raum zu schaffen für die Untersuchung eines Problems. Mehreren Perspektiven zuzuhören, ohne gleich eine Entscheidung treffen zu müssen und ohne mit allem einverstanden zu sein, offenbarte sich als neue Disziplin im Kloster.

Auch wenn die „circle talks“ dem Anspruch eines Dialogs nach Bohm nicht unbedingt gerecht wurden, hatten sie sich doch als ein äußerst wirksames Mittel entfaltet, das starke und intime emotionale Reaktionen sowohl bei denjenigen, die sich mitteilten, als auch bei denjenigen, die zuhörten, hervorrufen konnte. Die „circle talks“ produzierten bedeutungsvolle Ergebnisse im Bereich der persönlichen Entwicklung, der Stärkung der Empathie innerhalb der Gruppe und der Entwicklung emotionaler und kommunikativer Kompetenzen.

Mit dieser Form des „circle talks“ wurde in der Gruppe innere Arbeit geleistet. Es war ein hoher Anspruch, denn die Nonnen hatten keine therapeutische Erfahrung. Sie hatten auch keinen theoretischen psychologischen Hintergrund, auf den sie zurückgreifen konnten. Sie waren es gewohnt, Antworten oder Ratschläge zu erhalten oder von anderen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der „circle talk“ war für sie ein ungewöhnlicher Ort, an den sie eingeladen wurden, den Mantel, den sie gewöhnlich trugen, für eine Weile abzulegen, ihre Rolle, die sie spielten, zu hinterfragen und es zu wagen, sich mit einer eigenen Identität zu verbinden, ein wenig tiefer in ihr Selbst zu versinken, indem sie sich getrauten, sich auf neue Weise zu sehen.

Trotz seiner Einfachheit ist der „circle talk“ eine Praxis, die eine genaue Vorbereitung erfordert und nicht dem Zufall überlassen werden darf. Der Ablauf der Sitzung, die Form der Durchführung und die Präsentation der Absichten sollte gut vorbereitet werden. Die Aufgabe der Verwaltung des Zeitrahmens und der Beobachtung der Gruppendynamik sollte bei jedem Zusammentreffen einer bestimmten Person übergeben werden. Ich forderte die älteren Nonnen auf, sich in diesen Rollen in Zukunft abzuwechseln. Jeder „circle talk“ wird wahrscheinlich seine Vereinbarungen überdenken und Zeit damit verbringen wollen, sie in eigene Worte zu fassen und Vereinbarungen hinzuzufügen, die ihrem Zweck entsprechen.

Die Nonnen erkannten das Potenzial eines „circle talks“ und sie erkannten auch, dass es sich leicht vermindern lässt, wenn eines der Elemente vernachlässigt wird. Sie erfassten auch die Tatsache, dass sich die Praxis der „talks“ nicht eignete für Diskussionen und allgemeinen Austausch.

Ich kann nur hoffen, dass die Nonnen nicht auf die Idee kommen, den „circle talk“ in eine dogmatische Form zu pressen, sondern dass sie lernen, ihren eigenen Stil zu entwickeln.

Die Kreisstruktur hat ihre Stärke und Anpassungsfähigkeit von den ersten Lagerfeuern unserer Vorfahren bis zum globalen Zeitalter erhalten. Jeder Kreis trägt durch die Praktiken des Zuhörens mit dem Herzen und des Sprechens aus dem Herzen zu einer lang gehegten menschlichen Tradition bei, in welcher Kultur auch immer. 

Der „circle talk“ ist eine unvoreingenommene Begegnung unter verschiedenen Wesen. Sprache, Kultur, Religion, Eigenart und Charakter sind an sich Beiwerk, die weder als zu geringfügig noch als zu bedeutend erachtet werden sollten. In einem gelungenen „circle talk“ treffen Herzen auf Herzen und die Teilnehmer erkennen, dass Buddhisten oder Christen, gebildet oder ungebildet, jung oder alt, arm oder reich, in erster Linie Menschen sind, die eine gemeinsame Sprache sprechen. Die Sprache von Herz zu Herz.

Der kulturelle Wandel, den ich mir wünsche, würde voraussetzen, dass Menschen in der Lage sind, die gegebene Wirklichkeit zu reflektieren und sie in der Hinwendung zum Wesen der anderen zu verstehen.

Rolle als Dialogbegleiterin

Muss die Leitung von „circle talks“ mit buddhistischen Nonnen über besondere interkulturelle Kompetenzen verfügen, um angesichts der Fülle der Problemstellungen, Fallstricke und Gefahrenzonen zu bestehen? Offensichtlich benötigt eine Gruppe eine Leitung, die in der Lage ist, diese zu erkennen und wenn nötig, offenzulegen. Es zeigte sich, dass eine Person mit Spürsinn für das Wesentliche, geschult in der Gestaltung von Gruppenprozessen und einem Koffer voller Ideen für die Moderation, eine gute Voraussetzung für das Gelingen war.

Als Gruppenleiterin befand ich mich erst in einer Doppelrolle. Einerseits war ich Mitglied der Gruppe wie alle anderen auch. In diesem Sinne beeinflusste jede meiner Regungen den Gruppenprozess, wie ich auch selbst beeinflusst wurde. Auf der anderen Seite nahm ich eine herausragende Rolle ein und unterschied mich von den anderen. Die Teilnehmerinnen beobachteten mich und jede meiner Handlungen besaß ein besonderes Gewicht. Sie schafften sich anhand der Art und Weise ein Bild von meiner Persönlichkeit und ausgehend von diesem Bild schrieben sie mir Kompetenz zu, entwickelten Vertrauen und schenkten meinen Aussagen Glaubwürdigkeit.

Die Wichtigste jedoch ist die Ehrlichkeit über die Gefühle, die während der Gesprächsrunden auftauchen, die wir als Begleitung in uns wahrnehmen und sich kaum von denen der anderen unterscheiden. Es geht um das Erkennen des Gruppengefühlsraums und nötigenfalls um die Fähigkeit, diesen zu beschreiben.

Als Leitung wirkte ich im Verbund mit meiner Persönlichkeit und meinen Verhaltensweisen. Die Intervention wirkte quasi durch mich als Person hindurch. Ziel dieser Führungsrolle war allerdings nicht, inhaltlich auf das Gespräch Einfluss zu nehmen. Stattdessen lag die Hauptaufgabe darin, das Gespräch anzustoßen und die Einhaltung der vereinbarten Gesprächsregeln zu überwachen.

Ich konnte in diesen Gesprächsrunden sehr viel lernen. Mit meinem Vorgehen konnte ich eine Atmosphäre von Wahrhaftigkeit und Lebendigkeit fördern oder behindern. Selbstwahrnehmung und Sensibilität für die Wirkung auf andere sind daher wichtige Voraussetzungen. Die Leitung sollte sich all der aufgeführten Prozesse bewusst sein und sie entsprechend steuern können, sowohl durch das Angebot von Struktur als auch von prozessbegleitenden Interventionen. Gleichzeitig muss sie mit ihren eigenen sowie mit den Gefühlen der anderen umgehen können. Bei Turbulenzen und Irritationen sollte sie sich durchzusetzen vermögen und den Überblick bewahren können.

Die Liebe als Hinwendung zum Wesen dessen, was uns alle verbindet, offenbarte sich als die größte Chance für ein echtes Gespräch.

Ich habe jede Stunde unserer „circle talks“ genossen, es wurde nie langweilig.

Literatur

Bohm, David (1998). Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Stuttgart: Klett-Cotta.

Buber, Martin. (2009). Das dialogische Prinzip. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Hartkemeyer, Martina und Johannes und Dhority, Freeman (1998). Miteinander Denken. Das Geheimnis des Dialogs, Klett-Cotta, Stuttgart

Zimmermann, Jack und Coyle, Virginia (2010). Der große Rat, Arbor, Freiburg

 
Brief an die Jugend

verfasst von Samuel Widmer

Es ist an der jungen Generation von heute, die Welt zu wandeln. Ihr, die jungen Menschen von heute, seid privilegiert vor allen anderen Menschen, die je diese Erde bevölkert haben. Zum ersten Mal in der Geschichte besitzt eine einzige Generation - die eure! - den Schlüssel zur größten Herausforderung unserer Spezies, seit sie sich stolz Homo sapiens

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nennt, "der weise Mensch": Es ist die Herausforderung, uns zu wandeln, und zwar grundlegend und rechtzeitig. Privilegien bedeuten Verantwortung. Ihr habt das Privileg, euch der Herausforderung des Wandels zu stellen. Und ihr tragt die Verantwortung, die mit diesem Privileg einhergeht: die Verantwortung, dass ihr den notwendigen Wandel aktiv und effektiv vorantreibt. Dazu müsst ihr das Problem und seine mögliche Lösung gründlich verstehen. Warum stehen wir, die ganze Menschheit, vor einem derart fundamentalen Umbruch? Und was könnt ihr, eure Generation, tun, um die Herausforderung zu bewältigen? Auf beide Fragen gibt es eine klare Antwort: Es braucht einen grundlegenden und rechtzeitigen Wandel, weil die Welt, die eure Väter und Vorväter errichtet haben, nicht nachhaltig ist. "Nicht nachhaltig" heißt, dass die Welt zusammenbrechen wird, wenn sie sich nicht ändert. Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Ihr braucht euch nur umzusehen: Die Sommer werden heißer, die Winter wärmer, Stürme werden immer wilder, alle Extreme verstärken sich, Schwankungen lassen sich nicht mehr vorausberechnen. Für viele Weltgegenden wäre es zwar nett, wenn es etwas wärmer wäre. Aber die globale Erwärmung bedeutet zugleich, dass weniger Regen auf fruchtbares Land fällt, dass Wälder absterben, der Grundwasserspiegel sinkt und der Meeresspiegel weltweit ansteigt, weil das Eis in Arktis und Antarktis schmilzt. Wie viel Zeit haben wir noch, bevor Hunderten Millionen von Menschen kaum noch das nackte Leben bleibt? Bevor Sturm- und Flutkatastrophen Hunderte Millionen aus ihren Heimaten vertreiben? Bevor Städte und ganze Inseln buchstäblich untergehen? Es ist höchste Zeit für Wandel Der Klimawandel infolge der globalen Erwärmung ist nur einer von mehreren nicht-nachhaltigen Faktoren, die die heutige Welt bestimmen. Die Überbevölkerung der Städte, der Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung für weite Bevölkerungsteile, fundamentalistische Gewalt und Kriege, die kurzsichtigen wirtschaftlichen Interessen dienen, sind weitere Gefahren, die Leben und Wohlergehen auf diesem Planeten bedrohen. Wir Älteren haben die Natur aus ihrem Gleichgewicht gebracht, das doch unverzichtbar ist, um euer Leben zu erhalten - und das Leben von Myriaden weiterer Spezies. Jetzt müsst ihr, die jüngere Generation, unsere Irrtümer korrigieren und den Schaden ausbügeln. Wir sind jetzt sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Wie viele von uns werden die kommenden zehn Jahre überleben? Die nächsten fünf Jahre? Die nächsten drei? Und wenn einige von uns untergehen - wie wird das Leben der Übriggebliebenen aussehen, bei unserer hohen gegenseitigen Abhängigkeit und unserer Neigung, kurzfristige Interessen mit Gewalt zu sichern? Wenn die Welt weiter den Abhang hinunterschlittert und sich die Einstellung der Reichen und Mächtigen nicht ändert, solange noch Zeit ist, dann droht ein Inferno, dem niemand unversehrt entkommen wird. Damit sollte die Frage, warum es höchste Zeit für grundlegenden Wandel ist, beantwortet sein. Entweder wir ändern uns, oder wir gehen unter. Was aber könnt ihr jungen Menschen heute tun, um diesen Wandel in Gang zu setzen? Auch darauf gibt es eine klare Antwort. Nehmt euch zwei weise Einsichten von zweien der klügsten Menschen, die je auf der Erde wandelten, zu Herzen: Der eine, Albert Einstein, sagte: Man kann ein Problem nicht mit demselben Denken lösen, das zu dem Problem geführt hat. Der andere war Mahatma Gandhi. Er sagte: Sei du selbst der Wandel, den du in der Welt sehen willst. Neues Wissen braucht die Welt Zuerst zu Einsteins Erkenntnis: Wir müssen uns ein neues Denken aneignen. Dazu brauchen wir keine neuen Daten oder mehr Informationen; das führt nur zu einer Mehrung der gegenwärtigen Art von Wissen. Wir brauchen ein neues Wissen, eine ganz neue Art zu denken. Einige sprechen von einem neuen Paradigma. Das neue Paradigma entsteht gerade überall. Die einen sagen dazu "holistisches Paradigma", die anderen "integrales Denken" oder "systemische Weltsicht". Sein wichtigstes Kennzeichen ist, dass es die Welt nicht in Einzelteile zerlegt, um sie zu verstehen. Es reduziert die Vielfalt nicht auf ein oder zwei Faktoren, die dann bequem analysiert werden können. Der "analytische Ansatz" liefert zwar durchaus solides technisches Know-how. Er führt aber nicht zu echtem Verstehen. Das sehen wir am Wissen des Spezialisten, der immer mehr über immer weniger weiß. Spezialisiertes Wissen, das Wissen der Techniker, dient speziellen Zwecken. Es versagt, wenn es darum geht, dem Ganzen zu begegnen, das den Zweck enthält - nach dem Motto: "Operation gelungen, Patient tot." Das Wissen der dominanten Gesellschaften ist bruchstückhaft. Es ist nicht nur grundsätzlich unvollkommen, sondern sogar grundsätzlich irreführend. So existieren die Dinge in der Welt keineswegs unabhängig voneinander, sie sind nicht getrennt. Führende Wissenschaftler wissen längst, dass alles in der Natur miteinander verbunden ist. Letztlich existiert alles, was ist, so, wie es ist, gerade wegen der Verbundenheit und durch sie. Vernünftiges Wissen geht von dieser Verbundenheit aus. Es nimmt den Wald wahr und nicht bloß die einzelnen Bäume. Bäume sind Bestandteile des Organismus "Wald". Ohne eine Vorstellung von dem Wald, in dem ein bestimmter Baum wächst, kann man den Baum nicht wirklich erfassen. Wir leben in einer organischen Welt, und unser Wissen muss organisch sein: integrierend und ganzheitlich. Es gibt ein solches Wissen. Genau dieses Wissen werdet ihr brauchen, um die Herausforderung, die Welt zu verändern, zu bestehen - die heutige, nicht-nachhaltige, todgeweihte Welt zu einer nachhaltigen und lebensstarken Welt zu wandeln. Die Giordano Bruno GlobalShift Universität sammelt solches Wissen und bringt Menschen zusammen, die dieses Wissen entwickeln und wirksam verbreiten können. Nun zu Gandhis Aussage: Warum müsst ihr der Wandel selbst "sein", den ihr in der Welt sehen wollt? Führt es wirklich und richtig zur Veränderung der Welt um mich herum, wenn ich mich selbst ändere? Genauso ist es! Je instabiler ein System ist, umso kleinere ­Fluktuationen genügen, damit größere Transformationen ausgelöst werden können. Der "Schmetterlingseffekt" dürfte euch bekannt sein. Landläufig sagt man, der Flügelschlag eines Schmetterlings in Südkalifornien könne einen Sturm in der Inneren Mongolei verursachen. Der winzige Luftwirbel, der sich vom Schmetterlingsflügel ablöst, wächst und wächst und ändert schließlich das Wettergeschehen auf der anderen Seite der Erdkugel. Obwohl so etwas durchaus möglich ist, meinte der Spruch ursprünglich etwas anderes. Er bezog sich auf die Form des "seltsamen Attraktors", den der Meteorologe Edward Lorenz im Jahr 1960 beim Versuch, das globale Wetter nachzumodellieren, entdeckte. Dieser Attraktor, eine mathematische Formel, hat zwei "Flügel", und jeder Flügel beschreibt eine mögliche Entwicklung des Weltwetters. Lorenz fand heraus, dass schon winzigste Schwankungen der Faktoren, die das Wetter beeinflussen, ein plötzliches und zunächst nicht vorhersagbares Umkippen von einem "Flügel" zum anderen hervorrufen können - und somit von einem globalen Wettergeschehen zu einem völlig anderen. Heute wissen wir, dass chaotische Systeme - und dazu gehört das Weltwetter - äußerst empfindlich sind und sich von Natur aus unvorhersehbar verhalten. Doch nicht nur das Wetter ist chao­tisch, auch die Weltwirtschaft, das weltweite Finanzsystem und die gesamte natürliche Umwelt folgen chaotischen Prinzipien. Alle diese Systeme sind heute so sehr in eine chaotische Phase geraten, dass sie extrem empfindlich geworden sind. In jedem kann es zu Schmetterlingseffekten kommen. Das Chaos der Welt macht Wandel möglich Ihr, die junge Generation unserer Zeit, könnt eben der Schmetterling sein, der den entscheidenden Effekt auslöst. Ihr wurdet exakt zur richtigen Zeit geboren: Das Chaos der Welt um euch ist so groß geworden, dass der Wandel endlich eine Chance hat. In einer stabilen Gesellschaft kann man kaum wirkliche Veränderungen bewirken. Zu machtvoll sind die Widerstände. Der einfache Grund: Diejenigen, die die Zügel der Macht umklammert halten, fürchten den Wandel - er würde sie ihrer Privilegien berauben. Politiker, Konzernlenker, kirchliche, soziale oder Bildungs­behörden - bis auf wenige besonders offengesinnte und kluge unter ihnen werden die Mächtigen alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Status quo zu erhalten. Sie versuchen, diejenigen, die den Wandel wollen, zu "exkommunizieren" - nicht buchstäblich wie die Kirche im Mittelalter, sondern mit modernen Methoden: durch Ignorieren, und wenn das nicht reicht, durch Diskreditierung, Lächerlich machen und Isolation. Doch das sollte kein unüberwindliches Hindernis für euch junge Menschen sein. Zwar wehren sich die vorherrschenden Mächte in der Welt nach wie vor gegen den Wandel, aber ihre Kraft schwindet. Unsere zeitgenössischen Gesellschaften sind nicht mehr stabil. Sie leiden unter vielfältigen Krisen: wirtschaftlichen, finanziellen, ja selbst sozialen und kulturellen. Sie geraten immer tiefer ins Chaos, und im Zustand des Chaos kann ein neues Denken zu neuem Verhalten und zu durchschlagender Erneuerung führen. Selbst kleine Gruppierungen und scheinbar unbedeutende Initiativen können zu Katalysatoren für den großen Wandel werden. Freilich geriet die Welt des Menschen auch früher immer wieder ins Chaos. Aber das passierte in lokalen Grenzen, genauso wie sich die Gelegenheit zum Wandel nur lokal bot. Die Chaos-Phase heute hat den ganzen Planeten erfasst, und das eröffnet die Chance für globalen Wandel. Würden wir diese Chance vertun, wäre das nicht nur der Gipfel der Dummheit, sondern ein Verbrechen gegen die Menschheit. Also noch einmal: Die Welt braucht einen rechtzeitigen und tiefgreifenden Wandel, einen globalen Quantensprung. Eure Generation ist in der einzigartigen Position, diesen Quantensprung herbeizuführen. Die Giordano Bruno GlobalShift Universität stellt euch das Denken im neuen Paradigma zur Verfügung. Ergreift es, um euch selbst zu ändern, damit ihr die Welt verändern könnt. Die Lösung liegt ganz allein bei euch.
Im Gespräch mit der Jugend

verfasst von Cornelia Principi 2004

Jede Generation von Jugendlichen scheint in irgendeiner Form gegen die von der Gesellschaft geschaffenen Grenzen aufzubegehren. Gestern war es Hip Hop, vorgestern war es die Technoszene, in den achtziger Jahren nannten wir es Jugendkrawalle und in den Sechzigern versuchte sich eine neue Ideologie von Liebe und Freiheit auszubreiten. Es sind Keime von Versuchen, die Welt zu verändern.

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Die Phase der Adoleszenz, des inneren Aufruhrs, der Versuch erwachsen zu werden beschäftigt mich, seit meiner eigenen Jugend. Eine tiefe Sehnsucht, die durch nichts zu stillen ist, die sich mit keiner Religion zufrieden gibt, keine Theorie und kein Konzept über das Leben annimmt, die sich weder durch Vergnügen und Konsum zum Schweigen bringt noch durch asketisches Meditieren, drängt mich seither. Es ist eine Stimme, die alles hinterfragt, die keine schnellen Antworten duldet, die selber nach Antworten suchen muss. Vielleicht steckt in den meisten jungen Menschen diese Sehnsucht nach Ganzheit in allen Zellen, währenddem sie beim Zellabbau des Älterwerdens langsam schrumpft. Die aktuelle Shell-Studie redet von der Jugend allerdings als einer pragmatischen Generation. Kennzeichnend für die Mehrheit der jungen Erwachsenen sei das Bedürfnis, Karriere zu machen, viel Geld zu verdienen und toll auszusehen. Die Aussicht auf einen guten Job, ein schnelles Auto und teure Kleider ist nicht für alle zufriedenstellend. Es gibt junge Menschen, die etwas anderes suchen, sich eine andere Lebensform wünschen und dies vielleicht nur als unbestimmbare Sehnsucht wahrnehmen. Die sind es, die an unserer Gesellschaft zu kranken beginnen, oder die aufbegehren auf die eine oder andere Art. Es ist auffällig, dass sich keine Bewegung wirklich bahnbrechend durchsetzt. Das Alte, das Eingefahrene und Gewohnte bleibt, sowie das Gefühl, nicht ganz durchgedrungen zu sein mit seinen Anliegen und seiner Sicht. In meiner Arbeit an der Oberstufe verschiedener Schulen habe ich immer wieder festgestellt, dass Jugendliche in diesem Prozess des Erwachens für die Welt ausserhalb des eigenen Systems sehr alleingelassen ist. In erster Linie sind Forderungen zu erfüllen. In der Schule müssen Dinge lernen gelernt werden, die einen nicht interessieren, um sich später für einen Beruf für das ganze Leben zu entscheiden. Dem Bedürfnis nach wirklicher Freundschaft, nach Liebe und Geborgenheit, nach einer Einheit unter allem Existierenden ist kein Fach in der Schule gewidmet. Die Köpfe werden gefüllt mit objektiven Daten, Fakten und Theorien, für die Entfaltung ihrer inneren Wirklichkeit und die Erfüllung ihrer Träume finden die Heranwachsenden jedoch keinen Platz. Die intuitive Einfühlung in eine Welt der Magie und der Wunder muss endgültig einer neuen Sicht der Wirklichkeit weichen. Sie können sich mit Erklärungen und Konzepten nicht zufrieden geben und beginnen zu erkennen, dass hinter den schwierigsten Problemen der Welt Menschen stehen, Menschen die nicht miteinander auskommen. In der Phase der Adoleszenz beginnen die meisten die Welt wahrzunehmen, zu erkennen in welchem Zustand sie sich befindet. Die immensen Schwierigkeiten, die sich die Menschheit geschaffen hat werden vielen Jugendlichen bewusst und sie können aber damit nicht umgehen. Man kann der Kriminalität die Schuld geben, dem Krieg, den Drogen, der Habgier, der Armut oder dem kollektiven Unbewussten. Die grundsätzliche Übereinstimmung liegt darin, dass Menschen unsere Probleme verursachen. Die Signale Jugendlicher als Seismographen der Gesellschaft unvoreingenommen zu deuten und zu beobachten ist die Aufgabe der Erwachsenen. Während Jahren untersuchte ich den Zusammenhang des Verhaltens der Schüler und meiner inneren Haltung im Unterricht, in Beratungsstunden und überall sonst, wo Begegnung stattfindet. Der Vergleich mit Kollegen und Kolleginnen im Umgang mit Schülern bestätigt die Beobachtung, dass die innere Haltung der Pädagogen in jedem Kontakt mit den Jugendlichen, die Beziehung und somit ihr Verhalten massgeblich bestimmen. Jugendliche scheinen über feinste Sensoren zu verfügen, mit denen sie uns auf die Kongruenz von Innen und Aussen prüfen. Unstimmigkeit und Unehrlichkeit im Verhalten spüren sie sofort auf und reagieren dementsprechend ohne wirkliches Bewusstsein darüber. Die Tendenz Erwachsener, sich Konzepten und Theorien, Methoden und Techniken zu verschreiben, sowie uns gegen störende Faktoren abzuschirmen scheint Jugendliche stark zu provozieren. Sie stöbern uns unmittelbar an unseren Grenzen auf. Sie wollen den Menschen in uns sehen, nicht die Fachpersonen.
Zum Gruppengespräch

verfasst von Cornelia Principi 2005

  Beim Zusammentreffen einer Gruppe scheint sich ein unsichtbares Band um die Menschen zu legen, dessen man sich bis zum Ende des Treffens nicht entledigen kann. Das bekannte Phänomen der Gruppendynamik ist für alle Teilnehmer spürbar. Es muss ein Geheimnis hinter diesen wohlbekannten Erscheinungen, die eine Gruppe bewegen, aufwühlen oder motivieren können,

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stecken. Eine Gruppe mit intelligenten Menschen arbeitet reibungslos und effizient zusammen, stellt sich flexibel aufeinander ein und freut sich am Erfolg ihres gemeinsamen Ergebnisses. Eine andere Gruppe hingegen schleppt sich in mühsamen Diskussionen dahin und kommt auf kein konstruktives Ergebnis. Die Teilnehmer blockieren sich gegenseitig und reagieren regelrecht unreif aufeinander. Es besteht eine Fülle von Theorien, die diese Phänomene erklären und die Vorgänge in Menschengruppen interpretieren. Wir wissen, dass sich Menschen in Gruppen beistehen, sich gegenseitig fördern und beraten können und somit den gruppendynamischen Effekt geschickt steigern. Es können genauso in jeder Gruppe Schwierigkeiten auftreten, Konflikte entstehen, die in fruchtlose Streitereien münden und die eigentliche Arbeit der Gruppe unterbrechen. Wir wissen, dass ungeklärte Konflikte einen Prozess erschweren oder gar behindern können. Offenbar wirken bestimmte Faktoren belebend, währendem andere paralysierend auf die Gruppe sind. Die Arbeit in einer Gruppe kann kooperierend oder rivalisierend sein. Oft ist man verführt, als Erklärung für dieses Geheimnis, der Leitung die Hauptverantwortung für diese Phänomene zuzuschreiben. Gruppe Es entspricht einem evolutionären Bedürfnis, dass Menschen sich Gruppen anschliessen. Im Verbund konnte man besser jagen, leichter Nahrung anbauen und Nachfahren grossziehen. Wir bewegen uns während unserem ganzen Leben in verschiedenen Konstellationen von Gruppen. Die Familie, die Peergroup, eine Schulklasse, das Militär, die Gesellschaft, Fans bei Konzerten oder bei Sportveranstaltungen, therapeutische und religiöse Gruppen. Gruppen haben entweder ein gemeinsames Ziel oder gemeinsame Interessen. Sie haben regelmässige Treffen, einen gemeinsamen Anfang und ein gemeinsames Ende. Ein besonderes Merkmal einer Gruppe sind die gemeinsamen Erwartungen. Eine Gruppe ist auf Homogenität bedacht. Es bestehen Normen, wie der Einzelne sich zu verhalten hat. Werden diesen Normen entsprochen, neigen die anderen dazu, zufrieden zu sein. Werden diese jedoch missachtet, droht Sanktion oder gar Ausschluss durch die anderen Gruppenmitglieder. Oliver König zieht in der Einführung in die Gruppendynamik (2006) klare Grenzen zu anderen sozialen Systemen. Es gibt eine an die Kleingruppenforschung angelehnte Definition und eine Abgrenzung zu verwandten sozialen Formen. In diesem Sinne bezeichnet man Zuschauer eines Fussballspiels als Menge oder Masse, Andere der genannten Gruppen gehören einer Institution oder Organisation an. Als Sonderform wird die Arbeitsgruppe (König) genannt, eine Gruppe, die durch eine gemeinsame Aufgabe gekennzeichnet ist. Zusammenhalt einer Gruppe Der Zusammenhalt einer Gruppe wird von verschiedenen Faktoren bestimmt. Lapassade (1972) unterscheidet zwei Arten von Kräften, die eine Gruppe zusammenhalten: Lokomotionskräfte und Kohäsionskräfte. Die Lokomotionskräfte treiben eine Gruppe zu den Zielen hin, die sie sich gesetzt hat, währendem die Kohäsionskräfte die Gruppenmitglieder motivieren in der Gruppe zu bleiben. Der vertikale und horizontale Schnitt König versteht eine Gruppe als autonomes Sozialsystem, das nicht direkt von aussen steuerbar sei (2006). Man könne nicht vorhersagen, ob ein bestimmter Einfluss von aussen wirke und wie die Gruppe darauf reagieren würde. Jede Interpretation habe neben den beabsichtigten auch unvorhersagbare Folgen, so gesehen habe jede Gruppe ihre eigenen Entwicklungsmöglichkeiten. Eine Gruppe wird als soziales System verstanden, das durch Selbstreferenzialität charakterisiert ist (König). Gruppen haben Umwelten, von denen sie sich abheben, von denen sie zugleich abhängig sind und auf die sie zurückwirken. König spricht von der inneren und äusseren Umwelt einer Gruppe. Die jeweilige Aufgabe und das Ziel wirken sich auf die innere Ordnung aus. Zur äusseren Umwelt hingegen gehöre der jeweilige Grad an Freiwilligkeit oder Zwang, mit dem der Einzelne sich zur Gruppe gehörig fühlt. Mit der inneren Umwelt sind alle bewussten und unbewussten Gefühle, Bedürfnisse, Wertvorstellungen, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen der Mitglieder gemeint. Die Mitgliedschaft erfordere eine gewisse Anpassungsleistung, man müsse den Einzelnen begrenzen, da die Gruppe sonst ihre Orientierung verliert. Sie würde sich sonst in den individuellen Bedürfnissen, Eigenheiten und momentanen Stimmungen verlieren. Das Eisbergmodell König nimmt das Eisbergmodell, um die Dynamik, die das Zusammenspiel mehrerer Menschen ergeben kann, darzustellen: Dieses Modell macht das Verhältnis zwischen dem sichtbaren und dem verborgenen Teil in der Gruppe deutlich. Die grosse unsichtbare Masse unter dem Wasserspiegel bestimmt das Verhalten des sichtbaren Teils. Das Geschehen unter der Oberfläche, also die Gefühle, die Bilder, die Beziehungsebene, Übertragung und Gegenübertragung ist für alle Beteiligten wahrnehmbar. In einer tieferen Schicht befindet sich die Tabuebene, Dinge über die in der Gruppe nicht gesprochen werden, die aber latent in das Gruppengeschehen einwirken. Der Erfolg jeder Zusammenarbeit wird von dem Zusammenspiel sachlogischer und psychologischer Faktoren bestimmt. Auf der Sachebene geht es darum, Ziele, Vorgehensweise und Methoden auszuwählen und eine für die Aufgabenerfüllung zweckmässige Arbeitsorganisation zu finden findet Barbara Langmaack (2000). Eine weitere wichtige Vorraussetzung für die Sacharbeit, so Langmaack sei das Vertrauen und Sicherheit auf der Beziehungsebene. Meist sind mit der Benennung von einem Problem Personen betroffen, die sich bedroht und kritisiert fühlen, meint die Autorin, daher braucht eine Gruppe Spielregeln, um ihr soziales Innenleben zu regeln. Mit dem vertikalen Schnitt hat König (2006) von ihren Mitgliedern einerseits und ihrer relevanten äusseren Umwelt unterschieden. Mit dem horizontalen Schnitt und dem Modell des Eisbergs hat er verschiedene Ebenen bezeichnet, auf denen man das Geschehen in Gruppen untersuchen und interpretieren kann. Die Frage nach der psychosozialen Dynamik ist aber noch offen. Jede Gruppe ist mit einer Sachfrage beschäftigt, die sich aus ihrer Zielsetzung ergibt. Wie schafft sich eine Gruppe die Bedingungen, die es ihr ermöglichen, diese Sachfrage anzugehen und ihr Ziel zu erreichen? Phasen der Gruppenbildung Man spricht von vier Stadien der Gruppenbildung. Forming – Orientierungsphase: Die Teilnehmer beschnuppern sich und lernen sich kennen. Storming – Konfliktphase: Es finden Macht- und Statusklärungen statt. Die Ziele und die Vorgehensweise werden diskutiert und in Frage gestellt. Norming – Konsolidierungsphase: Die Teilnehmer akzeptieren ihren Status und die Gruppe bildet Normen für ihren Umgang und ihre Leistungsansprüche Performing – Durchführungsphase König (2006) unterscheidet drei Dimensionen in einem gruppendynamischen Prozess und zeigt somit drei Aufgaben auf, die jede Gruppe bewältigen muss. Dimension Zugehörigkeit drinnen/draussen Diese Dimension verweist auf das Bedürfnis, sowohl mit anderen Menschen zusammen zu sein, als sich auch von ihnen getrennt zu wissen. Dimension Macht und Einfluss oben/unten Mit dieser Dimension ist das Bedürfnis gemeint, seinen eigenen Lebensraum mitbestimmen zu können, sowie die Tatsache des Einflusses der anderen. Dimension Intimität nah/fern Diese Dimension differenziert den jeweiligen Grad von Nähe und Distanz in den Beziehungen. König sieht die drei Dimensionen als Abfolge im Gruppengeschehen. Zuerst werde die Zugehörigkeit bearbeitet, danach die Machtfrage und schliesslich werden Nähe und Distanz ausdifferenziert. Das Verhalten der Gruppenmitglieder in Bezug auf die drei Dimensionen sei massgeblich durch die Erfahrungen ihrer Lebensgeschichte geprägt. In jeder Gruppenerfahrung werden diese biografischen Prägungen berührt und aus ihnen wachsen Ressourcen sowie Einschränkungen der Betroffenen. Es ist klar geworden, dass das Phänomen Gruppendynamik viele physikalische, psychosoziale, strukturelle und prozessuale Faktoren beinhaltet: Gruppengrösse, Art und Aufgabe, Zusammensetzung der Mitglieder, Zeit- und Qualitätsfaktoren, motivierende Kräfte innerhalb der Gruppe, auferlegte Ziele, Normen und Rollen, Kommunikationsstil, Konformität und Gruppengeist, sie alle haben mit der Frage der Gruppenleistung zu tun. Gesprächsleitung Gesprächsführung ist Führung. Kommunikation ist Führung. Echte Kommunikation führt zu Verständnis, was zur Entspannung führt. Unverständnis hingegen erzeugt Spannung. Von Fiedler (2004) stammt das Kontingenzmodell von Führung. Er geht davon aus, dass effektive Führung das Ergebnis von bestimmten Führungsmerkmalen und bestimmten situativen Eigenschaften ist. Er unterscheidet zwei Arten von Führern; beim Aufgabenorientierten zählt vor allem die Leistung und der Beziehungsorientierte achtet auf das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe. Zwischenmenschliche Kommunikation gestaltet sich einfach, wenn nur einer die Kompetenz hat, seine Auffassung durchzusetzen. Befehle auszuteilen und Appelle an die Gruppe zu richten ist eine bestimmte Art zu kommunizieren. Ein Gesprächsleiter kann einen schönen Rahmen bieten für seine Ansprache, den Teilnehmern klare Forderungen präsentieren und erwarten, dass seine Ziele sofort in Tat umgesetzt werden. Der Bereich der Kommunikation trägt einen entscheidenden Teil auf das Klima in einer Gruppe bei. So muss folglich eine Auseinandersetzung, an der alle beteiligt sind und ein bewusster Umgang mit dem Themenbereich einen motivierenden Einfluss auf das Gruppengeschehen. Aufgaben einer Gesprächsleitung Das Anforderungsprofil einer Person, die ein Gruppengespräch leiten, ist gross. Hartmann/Rieger (2001) zählen folgende Eigenschaften auf: Sie müssen Hintergründe und Zusammenhänge klären können und dafür sorgen, dass die Sachebene nicht aus den Augen verloren geht. Sie erteilen das Wort, fordern die Schweigenden auf und bremsen die Vielredner. Sie fokussieren auf das Wesentliche, halten Zwischenergebnisse fest, decken Unterschiede auf und klären Konflikte. Sie sprechen ihre eigenen, sowie die Gefühle in der Gruppe an und geben Feedback. Sie fühlen sich verantwortlich für das Zeitmanagement, sichern die Ergebnisse und sorgen für klare Vereinbarungen. Das Verfügen über Fachkompetenz sollte eine selbstverständliche Vorraussetzung sein. Eine Leitung sollte um den Sachinhalt der Arbeitsgruppe Bescheid wissen. Methodenkompetenz ist eine weiterer erforderlicher Faktor. Sie schliesst die Fähigkeit zur Organisation von Abläufen, termingerechter Planung, sowie Moderations- und Präsentationstechniken mit ein. Persönlichkeitskompetenz weisen Menschen aus, die über eine innere Unabhängigkeit verfügen. Ihre Lebenszufriedenheit hängt nicht in erster von der Anerkennung durch andere ab. Sie fürchten sich nicht vor Veränderungen und haben eher den Mut Neues auszuprobieren. Von den persönlichen Kompetenzen hängt es ab, wie wir uns selbst managen. Die Selbstwahrnehmung beinhaltet, die eigenen Stärken und Schwächen zu kennen, mit den eigenen Emotionen umgehen zu können ohne das Ziel des Gruppengesprächs nicht aus den Augen zu verlieren. Soziale Kompetenz meint die Fähigkeit zu Teamarbeit, den konstruktiven Umgang mit Konflikten und die Bereitschaft zu kooperieren. Unterschied Leitung – Moderation Hartmann und Rieger (2001) unterscheiden klar zwischen Leitung und Moderation einer Arbeitsgruppe: Die Trennung zwischen Leitung und Moderation lässt sich aber in der Praxis tatsächlich nicht so leicht aufrechterhalten (Hartmann/Rieger 2001). Mischformen treten eher auf und sind erwünscht. Beziehungsorientierte Leitung Wir gehen davon aus, dass die Leitungsperson die Gruppe als Ansammlung von menschlichen Wesen mit Bedürfnissen, Gefühlen und eigener Meinung wahrnimmt. Watzlawick behauptet (1974), wir hätten ein Menschenbild verinnerlicht, das sich mit dem Bild, der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ beschreibt. Daraus müssen wir schliessen, dass bei einer positiven Einstellung anderen Menschen gegenüber, ein Vertrauen zugrunde liegt, das zu einer Weiterentwicklung von persönlichen Stärken und Anlagen bei den Beteiligten führt. Bei einem negativen Menschenbild hingegen, hegt man Vorurteile und verhaltet sich bewusst und unbewusst ablehnend. Die Reaktion auf dieses Verhalten wird, je nach Charakter der Anwesenden, Flucht, Auflehnung oder Anpassung sein. Diesen zerstörerischen Kreislauf muss man als Leitungsperson erkennen können. Hier wird von Kommunikation als Mittel und Weg gesprochen, Informationen von einem Sender zu einem Empfänger weiterzuleiten. Es liegt in der Natur des Weges, Steine in seinem Verlauf aufzuweisen, Steine, die das Weiterkommen unmöglich machen. Aus dem Austausch gegenseitiger Mitteilungen können sich bestimmte Reaktionskonstrukte ergeben. Hierbei kann es zu Störungen kommen, deren Ursache sein kann, dass jeder Partner davon ausgeht, der andere sei im Besitz der gleichen Informationen und ziehe die gleichen Schlüsse. Das ist natürlich nicht der Fall. Es braucht eine Verständigungsbereitschaft, verbunden mit der Fähigkeit, die Perspektive des andern mit ein zu beziehen. Genauso braucht es eine Bereitschaft den anderen zu konfrontieren, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen sowie die Bereitschaft die möglicherweise aufkommende Stimmung der Disharmonie auszuhalten. Diese Bereitschaft setzt wiederum die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung voraus. Kann man die eigenen inneren Reaktionen von denen in der Gruppe unterscheiden. Das Wertequadrat Schulz von Thun (1989) benutzt zur Prüfung der Selbsteinschätzung ein Wertequadrat. Diese Selbsteinschätzung bestimme den Ausgangspunkt zu einem Entwicklungsweg zu mehr Wirkungsbewusstsein und Kongruenz. Liebe__________________________________Kampf Friedlichkeit Konfrontation Versöhnung Streit Akzeptierung Konflikt Friedhöflichkeit__________________________feindselige Zerfleischung Er macht mit diesem Modell deutlich, dass ein auf ein Verständnis und Versöhnlichkeit ausgerichtetes Prinzip nur die Hälfte einer vollwertigen Beziehung ausmacht. Hinzukommen müsse das kämpferische Element; die Bereitschaft und die Fähigkeit den Partner hart zu konfrontieren und Gegensätze und Konflikte mit ihm auszutragen. Diese Art von „liebendem Kampf“ würde die ungebremste Eskalation von Kränkungen, die in blanken Hass münden kann, vermeiden. Zuhören Das aktive Zuhören nach Carl Rogers ist ein erfolgversprechendes Kommunikationsverhalten und beinhaltet den Ausdruck einer Wertschätzung, das Kennenlernen von Meinungen, Wünschen und Persönlichkeitsmerkmalen des anderen, verbunden mit der Möglichkeit darauf zu reagieren. Aktives Zuhören ist lernbar, indem man bereit ist, nicht nur auf den Inhalt, sondern auf die Zwischentöne des Gesagten zu achten. Die Zuhörtechniken wie Paraphrasieren, Zusammenfassen, Nachfragen, Klären, Spiegeln und nonverbalen Ausdruck des Gegenübers zu deuten, machen noch keinen wirklichen Zuhörer aus. Neben dem Bestreben dem andern zuzuhören, ihm mit Empathie zu begegnen, sein ganzes System zu erfassen und wertefrei zu akzeptieren, gibt es Faktoren auf die wir unser besonderes Augenmerk legen wollen. Sobald zwei oder mehrere Menschen in Kontakt treten, reagieren sie bewusst oder unbewusst aufeinander. Eine Beziehungsdynamik entsteht aus dem Zusammenspiel von Ausdruck und Antwort, Aktion und Reaktion. Schulz von Thun unterscheidet acht Kommunikationsstile (1989), mit denen Menschen in Kontakt treten. Mit jedem Stil verbinden sich bestimmte innere Verfassungen, Ich- Zustände, ein Gemisch aus Bedürfnissen, Gefühlen und Absichten, die uns durchströmen und nach aussen dringen, dort unsere Kontaktpartner erreichen und die Kommunikation durch nonverbale Ausstrahlung beeinflussen. Er behauptet, jede Strömung stecke in jedem und ist in jedem auslösbar. Jeder habe bevorzugte Muster der Kontaktgestaltung, einhergehend mit bestimmten Vermeidungsmustern, die ihren lebensgeschichtlichen Hintergrund haben. Diese Stile nennt er folgendermassen: der bedürftig-abhängige -, selbstlose -, beweisende -, distanzierende -, helfende -, mitteilungsfreudige -, bestimmende -, kontrollierende -, dramatisierende-, aggressive- und entwertende Stil. Augenscheinlich sind die direkten Widersprüche in den verschiedenen Stilen, die wir gemäss Schulz von Thun, alle in uns haben. Er verlangt die Erkenntnis ungeliebter Anteile, andernfalls drohe die Abspaltung dieser fiesen Seiten aus dem eigenen Selbst und ihre mit grosser moralischer Entrüstung vollzogene Wiederentdeckung im anderen. Das innere Team Im dritten Band seiner Werke `Miteinander Reden`(1998) zeichnet Schulz von Thun ein weiteres kommunikationspsychologisches Modell, das noch mehr nach innen gerichtet ist. Er skizziert das Bild des inneren Teams für das Geflecht systemischer Zusammenhänge aussen und das seelische Durcheinander innen während einem Gespräch. Er geht davon aus, dass der Mensch kein einheitliches Wesen ist, das kraft seiner seelischen Bausteine mit sich selber einig wäre, sondern dass innere Vielfalt und Gegensätzlichkeit das eigentliche Menschliche ausmachen Er will nicht von vielen Seelen sprechen, sondern zieht es vor, die eine Seele „gruppendynamisch“ zu interpretieren. Unbestreitbar sei es, dass eine pluralistische Gesellschaft in uns wohne. Heute gäbe es zu allen wichtigen Lebensfragen, die uns berühren, eine Vielzahl unterschiedlicher Stimmen in uns. Schulz von Thun kennzeichnet innere Konflikte als Wesensanteile des Menschen. In uneindeutigen Grenzsituationen würden stets mehrere Verhaltensweisen miteinander konkurrieren, in Form von inneren Stimmen, die sich zu einem bestimmten Vorfall oder Thema zu Wort melden. Diese inneren Stimmen sind sich selten einig und setzen alles daran auf unsere Kommunikation und unser Handeln Einfluss zu nehmen. Diese zerstrittene Gruppe in einem selbst kann sehr quälend sein und bis zur Verhaltenslähmung führen. Doch handelt es sich nicht um eine Störung, sondern um eine ganz normale menschliche und letztlich wünschenswerte innere Pluralität. Gelingt es nämlich, aus der zerstrittenen Gruppe ein inneres Team zu bilden, können innere Synergieeffekte dazuführen, sich der Welt mit vereinten Kräften zu begegnen. In Situationen, in denen wir stark mit unseren Gefühlen, wie Ärger, Wut, Angst, Enttäuschung oder Schuld beschäftigt sind, verfügen wir nicht mehr über die Motivation dem Gegenüber gelassen zuzuhören. In einem Gruppenprozess braucht es den Mut zur Konfrontation. In einer solchen Situation ist es aufrichtiger, unsere Empfindung ernst zunehmen und mitzuteilen. Dem Gegenüber Einblick in das eigene Erleben zu erlauben ist eine weitere Vorraussetzung für das Gelingen von Gesprächen. Dieser Prozess kostet uns Mühe, weil wir gewohnt sind uns so zu verhalten, wie der andere uns sehen soll. Das eigene Verhalten wird von der Tendenz beeinflusst, anders zu erscheinen, als man sich selbst wahrnimmt. Die sich widerstreitenden Anteile in uns nennt Schulz von Thun das innere Team. Innere Uneinigkeit stellen keinen Sonderfall dar, sondern machen den seelischen Alltag aus. Die inneren Feinde können unablässig Selbstzweifel schüren oder Pessimismus verbreiten, sie können Selbstvorwürfe machen und Ängste wecken. Meist wirken diese Stimmen im Verborgenen und werden sie nicht bewusst wahr genommen, strahlen sie eine Stimmung aus, die ein Gruppenklima verderben. Eine latente Feindseligkeit liegt in der Luft hinter einer Fassade von Höflichkeit und Sachlichkeit. Die Kommunikation nach aussen wird unklar und widersprüchlich. Das Gegenüber wird verunsichert und es entsteht ein Vertrauensverlust. Solche Reibungen führen wiederum zu endlosen Diskussionen und schliesslich zu Ermüdungserscheinungen. Mit dem Modell des inneren Teams betrachten wir die Innenseite der Kommunikation. Denn ein `Miteinander` und `Gegeneinander` finden wir nicht nur zwischen den Menschen, sondern auch innerhalb des Menschen. Innenbilder und Selbstgespräche sind die ständigen Begleiter in unserem Leben, ob wir zuversichtlich oder ängstlich auf ein Ereignis zugehen. Sie können unsere Kreativität beflügeln genauso, wie sie uns blockieren können. Selbstgespräche und Innenbilder sind demnach Schaltstellen in unserem Alltag bei der Entstehung von Freuden und Leiden. Das innere Team, das sind die inneren Teilpersönlichkeiten, die in uns agieren. Je besser die Kommunikation des inneren Teams verläuft, desto sicherer kann man sich selbst steuern. Manche Stimmen sind flüchtig und kaum wahrnehmbar, manche treten sofort nach aussen in Erscheinung und manche überhören wir lieber. Somit haben wir in der Kommunikation als Gesprächsleiter nicht nur mit einer Gruppe im Aussen zu tun, der wir angehören und zu leiten haben, sondern auch mit dem eigenen inneren Team. Wir müssen demnach lernen das seelische Durcheinander in einem selbst zu sehen und gleichzeitig dem Geflecht systemischer Zusammenhänge um einem herum gerecht zu werden. Für die Gesprächssituation besteht die Herausforderung darin, eine Einigung der inneren Stimmen zu finden, um sich nach aussen klar, authentisch und situationsgemäss ausdrücken zu können. Jedes Gruppenmitglied hätte demnach die Aufgabe, das eigene innere Team wahrzunehmen und müsste fähig sein, seine Stimmen zur jeweiligen Situation adäquat auszudrücken. Ein weiteres Analyseinstrument bietet das Teufelskreismodell. Wir haben erkannt, dass sobald mehrere Menschen in Kontakt treten, eine Dynamik entsteht. Es kommt zu einem Hin- und Her von Äusserung und Antwort. Es gibt keinen Anfang und kein Ende und die interagierenden Personen erleben sich jeweils nur als Reagierende auf das Verhalten der anderen. Solche Teufelskreise schleichen sich in Gruppen ein, wie Viren in ein Computerprogramm. Sie führen darin ein Eigenleben und bemächtigen sich schliesslich des ganzen Programms. Das Erkennen solcher Dynamiken und das Wissen um Ausstiegsmöglichkeiten können Eskalationen vermeiden. Das Modell des inneren Team ist für den Gruppenleiter eine wertvolle Grundlage der Selbstklärung. Kennt er das Spektrum der Anwendungsfelder, in denen die innere Pluralität eine Rolle spielt und ist er fähig innere Teamkonflikte bei sich und bei den anderen zu erkennen und damit umzugehen, kann er womöglich wesentlich zu einem günstigen Verlauf des Gruppengesprächs beitragen. Fühlt er sich der Situation gewachsen in einer Gruppe sozusagen den inneren Gruppen der Einzelnen gegenüberzustehen und die unterschiedlichen inneren Stimmen differenziert wahrzunehmen, kann er unzählige Störungen vermeiden. Beherrscht er zudem die Kunst, die Zusammenhänge mit anderen kommunikationspsychologischen Modellen zu erkennen, kann er bewirken, dass aus dem Gegeneinander ein Miteinander wird. Folglich ist Kommunikationskompetenz bei der Leitung eine wesentliche Vorraussetzung für das Gelingen eines Gruppengesprächs.
Das Flüstern der Insel von Cornelia Principi

Ein Roman für junge Menschen, die den Mut haben, auf ihr Herz zu hören.

Rosalie ist 17 als sie sich von ihren Freunden zu einem Anschlag auf die Schweizerischen Bundesbahnen überzeugen lässt. Die fünf Freunde suchen einen Weg, die Gesellschaft aufzurütteln und auf die globale Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, von der jeder einzelne in den westlichen Gesellschaften profitiert und die Millionen Menschen auf der anderen Hälfte der Welt in Armut bindet.

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Die Aktion geht gehörig schief und ein Teil von ihnen landet in einem staatlichen Erziehungsprogramm – mit einer interessanten Maßnahme zur Resozialisierung: Sechs Jugendliche werden mit vier Betreuern für einen Monat auf einer Karibikinsel abgesetzt.

Hier entwickelt die Geschichte eine eigene Dynamik. Nicht nur weil fast alle Beteiligten sich den Aufenthalt in der Karibik anders vorgestellt haben: Ihre Vorstellungen von der Wirklichkeit werden auf eine Probe gestellt. Es bleibt für Rosalie weit mehr als die Erkenntnis, dass sich Ungerechtigkeit anders als mit Gewalt lösen lässt…

Man kann den anderen die Schuld geben, dem Krieg, den Drogen, der Armut oder dem Unterbewussten. Die grundsätzliche Übereinstimmung in dieser Geschichte liegt darin, dass allein Menschen unsere Probleme verursachen und es nur eine Antwort darauf geben kann.

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„Der Dialog“

Cornelia Principi

eMail: info@derdialog.ch
Tel.: 076 / 430 86 70

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